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~*~* Kapitel 8 *~*~
Die Oger

Als es am nächsten Morgen hell wurde, waren sie schon auf den Beinen und mitten in den Vorbereitungen begriffen, als Bohumil ihnen mitteilte, dass er mal fragen wolle, ob einer der Flüchtlinge bereit wäre, sie zu führen. Die anderen machten sich dahingehend zwar keine Hoffnungen, ließen den Magier allerdings ziehen.
Bohumil indessen suchte nach einem einigermaßen kräftig aussehenden Mann - und fand auch prompt einen. Er rief ihn zu sich. Arglos, wie er war, kam der Mann auf ihn zu und sah ihn fragend an. "Was kann ich für Euch tun?"
Bohumil sah ihm tief in die Augen und sprach einige seltsame Worte. Der Mann runzelte erst die Stirn und bekam dann einen leeren Gesichtsausdruck.
"Also, du wirst uns dahin führen wo du her kommst."
"Ja, Meister", antwortete der Mann tonlos.
"Ääh... hast du ... eine Familie?"
"Ja, Meister. Eine Frau und eine Tochter."
"Mist. ... Also, du gehst zu denen und erklärst ihnen, dass du nun ganz dringend weg musst, um uns zu begleiten, aber sie selber können auf keinen Fall mitkommen. - Hast du das verstanden?"
"Ja, Meister." - Er hatte keine andere Wahl.
"Gut. - Und nochwas: Nenn' mich bitte nicht 'Meister' und versuch', einen möglichst normalen Eindruck zu machen."
"Ja, M-... äh, jawohl." Der Mann wandte sich zum Gehen und Bohumil wartete auf ihn, während er ebenfalls möglichst unauffällig herumstand.
Nach einiger Zeit kam der Mann wieder. - Wenn man nicht um sein bedauernswertes Schicksal wusste, könnte man ihn fast für 'normal' halten.
"Gehen wir." Bohumil wandte sich dem Wald zu und der Versklavte folgte ihm.
Die anderen staunten nicht schlecht, als er mit dem Flüchtling im Schlepptau ankam. Bohumil grinste über das ganze Gesicht. "Das hier ist ... Casali!" Der Mann sah ihn verständnislos an. "Du hast doch vorhin gesagt, dass du Casali heißt, oder?" fragte der Magier nachdrücklich. Der Mann nickte eifrig. Chiara sah ihn schief an "Wir haben aber kein Pferd für ihn", stellte sie dann fest.
"Dann läuft er eben." Orgim zuckte mit den Schultern. "Außerdem müssen wir doch auch nicht die ganze Zeit reiten."
"Ja, da hat'er recht", bestätigte Ragnar eifrig und sah dann mit schiefgelegtem Kopf zu seinem Schlachtross, das ihm einen ebensolchen Blick zurückwarf.
Hiranhên war schon aufgesessen und sagte nichts.
"Ja, dann laufen die zwei ... drei eben." Chiara schwang sich energisch in den Sattel ihres Pferdes und mahnte die anderen zur Eile.
Nachdem alles verstaut war, brach die Gruppe auf, wobei sie beschlossen hatten, dass jeweils Chiara, Ragnar oder Orgim zu Fuß gehen würden. Bohumil gebat Casali noch, dass er immer einige Schritte hinter Ragnar beziehungsweise dessen Pferd laufen solle und sich im Falle eines Kampfes möglichst im Hintergrund halten.

Drei Tage lang hatte Casali sie in süd-südöstlicher Richtung geführt, während der Mond immer voller wurde, als sie in einiger Entfernung ein Dorf erspähen konnten. Als sie näher kamen, bemerkten sie jedoch, dass es sich eher um eine kleine Ansammlung von Häusern handelte - die fast bis auf die Grundmauern niedergebrannt waren.
Schwarze, verkohlte Wände ragten wie die bizarren Zacken eines Gebirges aus einem ebenfalls schwarzen Trümmerfeld hervor und boten ein gespenstisches Bild. Nirgends regte sich etwas, nicht einmal letzte Rauchfahnen stiegen mehr auf in den Herbsthimmel. Also musste es schon eine Weile her sein, dass ein Feuer diese Siedlung zerstört hatte.
Der Mann sah Bohumil fragend an, doch der Magier saß einfach nur auf seinem Pferd und betrachtete die Ruinen.
Orgim ergriff die Initiative: Er saß ab und ging auf das Dorf zu. Die Zügel seines Pferdes hatte er kurzerhand dem Bauern in die Hand gedrückt. Ragnar, der zu Fuß unterwegs war, überließ ihm ebenfalls die Zügel seines Tieres und eilte dem dunklen Magier hinterher, während Hiranhên das Gelände aufmerksam nach den schwarzen Reitern absuchte. Als sie nichts finden konnte, saß sie ab und lief den beiden Männern hinterher, da sie neugierig war, was in der Siedlung vor sich gegangen war. Narumîr trottete ihr hinterher.
Auch Xantcha und Chiara folgten ihnen und hatten sie am Anfang der Siedlung eingeholt. Dort roch es nun doch verbrannt, wenn auch nicht sehr kräftig. Der Hengst der Elfe schnaubte widerwillig, folgte allerdings trotzdem seiner Herrin.
Bohumil und Katan sahen sich etwas unschlüssig an und führten dann zusammen mit dem Bauern die Pferde auf das Dorf zu.
In der Mitte eines größeren Platzes, der sich inmitten der Siedlung befand, blieben sie stehen. Offenbar hatte es sich hierbei um eine Art Dorfplatz gehandelt. Aus dem noch am besten erhaltenen Haus, das ehemals wohl noch das beste gewesen war und dem Oberhaupt des Dorfes gehört haben musste, stieg eine dünne Rauchfahne auf, die man von weitem nicht hätte sehen können.
"Da raucht's." stellte Xantcha fest. Furchtlos und neugierig ging Hiranhên auf die Ruine zu. In der Tür blieb sie stehen und sah sich um, als plötzlich ein dunkler Schatten hinter ihr auftauchte. Bei einem Blick über die Schulter bemerkte die Elfe, dass es nur Orgim war, der sich ebenfalls umsehen wollte.
Sie entdeckten eine Feuerstelle, die bis vor kurzem noch gebrannt haben musste, da sich noch rote Glut dort befand, von der der Rauch aufstieg.
"Was ist denn los?" rief Xantcha vom Dorfplatz her. Die anderen der Gruppe warteten dort und beobachteten die restlichen Häuser, ob sich dort auch noch etwas rührte.
Orgim trat näher an die Feuerstelle und bemerkte da den Schädel: Es handelte sich um einen menschlichen Schädel, der eingedrückt war und ein Loch aufwies.
"Da ist ein Guhl oder so etwas ähnliches in der Nähe..." murmelte Hiranhên düster. Orgim stocherte mit seinem Stab in der Asche herum und entdeckte einige Papierfetzen, aus denen man jedoch nichts mehr herauslesen konnte.
"Und?" kam da die nun schon etwas genervtere Stimme von Xantcha.
Rings um den Schädel und die Feuerstelle verteilt lagen Knochen, die ebenfalls eindeutig menschlich waren. Sie sahen allerdings nicht sehr alt aus - und zudem irgendwie ... abgenagt.
"Findet ihr nicht, dass es unangenehm riecht?" fragte Xantcha und verzog das Gesicht. Nun roch es auch Hiranhên, zwar nur schwach, aber doch da: der Geruch von verbranntem Fleisch. Zusammen mit Orgim sah sie sich weiter in dem Haus um, konnte jedoch nichts besonderes mehr finden, da der Rest überall verbrannt zu sein schien.
"Kommt raus!" rief plötzlich Chiara mit lauter Stimme.
Orgim und Hiranhên liefen hastig auf den Dorfplatz hinaus, zu den anderen.
"Ich habe jemanden gesehen, eine ... ziemlich große Gestalt! Sie ist hinter diesem Haus dort verschwunden." Damit deutete sie auf eines der Häuser, die um den Dorfplatz standen.
"Wir sollten uns als geschlossene Gruppe in offenes Gelände begeben! Hier gibt es viel zu viele Möglichkeiten, aus dem Hinterhalt anzu..." Weiter kam Bohumil nicht, denn Orgim hatte in der Zwischenzeit einen Krieger erschaffen, dem er den Flegel von Ragnar in die Hand gedrückt hatte - natürlich mit dessen Zustimmung.
Bohumil seufzte und konzentrierte sich dann. Er erhob sich in die Lift und spähte über das abgebrannte Haus, während Hiranhên sich auf Narumîrs Rücken schwang und Orgim mit seinem Krieger sowie Ragnar im Schlepptau von der entgegengesetzten Seite, wo die Gestalt laut Chiaras Aussage verschwunden war, um das Haus herum eilte. Sie vernahmen einen bellenden Laut und im selben Augenblick sah Bohumil einen Glatzkopf allerdings mit einem langen Zopf in der Mitte des Kopfes über der Mauer, der sich jedoch kurz darauf auch wieder duckte.
Ragnar und Orgim sahen sich plötzlich einem nahezu 2,60m großen humanoidem Wesen gegenüber, das trotz seiner kräftigen Statur irgendwie weiblich aussah und eine mit Stacheln besetzte Keule in der Hand hielt. Neben diesem Wesen stand ein Kleinerer derselben Art und hielt eine Art Messer in der Hand - zumindest war es für ihn ein Messer, für einen normalen Menschen hatte es schon die Ausmaße eines Kurzschwertes.
Als Hiranhên um die Ecke bog, sah sie, dass Ragnars Axt gelb leuchtete.
Der Kleinere ging zu der großen Gestalt und versteckte sich halb hinter ihr.
"Duuuu, verstehst du mich?" fragte Ragnar und erhielt als Antwort ein paar scharf gesprochene Laute, die wie ein Bellen klangen.
"Ich denke, das sind Oger..." vermutete Bohumil und rief diese Vermutung den anderen zu.
"Und sie sind uns nicht feindlich. - Noch nicht..." fügte Orgim hinzu.
Hiranhên trieb ihr Pferd an und ritt mit einem möglichst freundlichen Gesicht auf die beiden Oger zu. Als sie noch ungefähr drei Meter von ihnen entfernt war, schlug der größere mit seiner Keule kräftig auf den Boden. Narumîr blieb wie angewurzelt stehen und tänzelte einige Schritte rückwärts. Die Elfe konnte ihn nicht zum Weitergehen bewegen.
"Sollen wir sie angreifen?" wollte Ragnar nicht ohne eine gewisse Vorfreude in der Stimme wissen.
"Wir wollen euch nichts tun!" sprach Hiranhên so deutlich wie möglich, damit sowohl der hinter ihr stehende Ragnar als auch der Oger vor ihr sie verstehen konnten. Doch dieser klopfte nur noch energischer mit seiner Keule auf den Boden, was Narumîr dazu veranlasste mit aufgerissenen Augen nur noch weiter rückwärts zu gehen, bis er wieder bei Orgim und Ragnar war. Bei einem hilfesuchenden Seitenblick auf Chiara sah Hiranhên, dass die Magierin offenbar nachdachte.
Orgim hatte sich derweilen darauf konzentriert, die Kontrolle über die Gedanken des großen Ogers zu erlangen. Da ihm dies geglückt war, ließ er ihn nun auf sich zukommen und auf halbem Weg die gefährliche Keule wegwerfen. Der kleinere folgte ängstlich und wusste nicht, was er machen sollte. Als der größere auf Orgims stummen Befehlt hin niederkniete und der kleinere sich immer noch hinter ihm versteckte, reckte Hiranhêns Hengst vorsichtig den Kopf vor und schnüffelte in seine Richtung, traute sich jedoch nicht näher heran.
Orgim erschaffener Krieger hatte inzwischen seine - oder besser Ragnars - Waffe weggesteckt. Auch Max schien sich plötzlich für den kleineren zu interessieren und trat näher an ihn heran, war jedoch immer noch misstrauisch. Ganz im Gegensatz zu dem kleinen Oger, der äußerst positiv auf das Wildschwein reagierte.
Die Elfe warf erneut einen Blick in die Richtung der restlichen Gruppe, als sie bemerkte, dass Chiara näher kam. Die Magierin blieb stehen und betrachtete kritisch den knienden Oger.
"Könnt Ihr eine Fremdsprache?" fragte Hiranhên hoffnungsvoll.
"Nein, diese nicht..."
Es wäre auch zu schön gewesen um wahr zu sein!
"Orgim?" Als der dunkle Magier nicht auf die Elfe reagierte und Bohumil, der inzwischen näher geflogen war, vorschlug, beiden Ogern einen vorsichtigen Schlag auf den Kopf zu verpassen, damit sie bewusstlos wurden, ritt Hiranhên zu Xantcha, um sie um ihr Seil zu bitten, denn sie hatte gesehen, dass das Mädchen eins mit sich führte. Als hätte sie ihre Gedanken erraten, übergab sie der Elfe auch ihr Seil, die es dann an Ragnar weiter gab.
Der Krieger ging selbstbewusst auf den großen Oger zu, um ihn zu fesseln, blieb jedoch abrupt stehen, als Bohumil plötzlich "Stop!" rief. Der Magier hatte in den Gedanken des kleineren gelesen, dass er angreifen würde, sollte ihm jemand zu nahe kommen.
"Ich muss die Gedankenkontrolle aufrecht erhalten!" drängelte Orgim, der schon sichtlich schwächer wurde.
"Aber... seht doch mal... wenn wir nun einen Kampf mit dem Kleinen riskieren, dann wird Ragnar ihn wohl oder übel töten... Und dann haben wir seine Mutter auch noch am Hals! - Ihr glaubt nicht, welche Kräfte Mütter entwickeln können, wenn es um ihre Kinder geht..."
"Die mach ich fertich!" grollte Ragnar und warf einen bösen Blick auf den apathischen Oger.
"Ich will dir nicht zu nahe treten... aber alleine wirst du da Probleme haben... Und am Ende riskieren wir, dass einer von uns dabei umkommt..."
Diese Worte schienen Ragnar zu überzeugen, denn er blieb unschlüssig stehen.
Orgim fuhr ganz leicht zusammen, als er plötzlich Chiaras Hand auf seiner Schulter fühlte, doch kurz darauf spürte er, wie er von Energie durchflossen wurde und er fühlte sich stark genug, die Gedankenkontrolle noch einige Zeit aufrecht zu erhalten.
Bohumil war derweilen wieder auf den Boden zurück gekehrt und ließ dafür den kleineren Oger in die Luft steigen, damit er keine Gefahr mehr darstellte für Ragnar, der den anderen fesselte. Gerade rechtzeitig, denn da brach Orgims Kontrolle ab und das Seil wurde auf eine harte Probe gestellt, der es jedoch standhielt.
Bohumil versuchte indessen herauszufinden, warum die beiden Oger hier waren, doch er kam zunächst nicht an die Gedanken heran. Erst beim zweiten versuch gelang es ihm, herauszufinden, dass die Oger erst seit der letzten Nacht in dem Dorf waren, das bei ihrer Ankunft allerdings schon abgebrannt und verlassen war. - Fast, denn die Knochen, die Hiranhên und Orgim gefunden hatten, stammten tatsächlich von einem ehemaligen Dorfbewohner, der unglücklicherweise nicht geflohen war und somit den Ogern, die selber aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, als Abendessen gerade recht kam. Während sich die Gefährten auf dem Turnier vergnügt hatten, schien es eine invasionshafte Völkerwanderung gegeben zu haben und sämtliche Monster - also auch Oger - waren auf Menschen gehetzt worden.
Hiranhên, die erfolglos versucht hatte, herauszufinden, was Bohumil in den Gedanken lesen konnte, sah auf, als sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln sah. Doch es waren bloß Katan und Xantcha mit den Pferden und dem Bauern, die näher gekommen waren. Sie wollten auch erfahren, was vor sich ging. Hiranhên konnte ihnen nicht mehr berichten, als sie selber gesehen und gehört hatte. Während die Elfe sich mit den beiden Mädchen unterhielt, erschuf Orgim ein Seil, das zu seinem eigenen Erstaunen besonders fest war. Nun arbeiteten Orgim, Bohumil und Ragnar perfekt zusammen:
Nachdem Orgim den kleinen Oger in Trance versetzt hatte, ließ Bohumil ihn langsam zu Boden gleiten, damit Ragnar an ihn heran kam und ihn fesseln konnte. Viel länger hätte der Magier den Oger auch nicht in der Luft halten können.
"Könnten wir mal eine Pause machen?" fragte er mit matter Stimme und wandte sein Gesicht, das plötzlich unglaublich ausgemergelt schien, den anderen zu.
Orgim sagte nichts, sondern nickte nur. Auch er war sehr erschöpft nach der ganzen Zauberei. Hiranhên saß ab und half dem Bauern, Katan und Xantcha, die Pferde an einen nahestehenden Balken, der von einem der Häuser noch übrig geblieben war, zu binden, damit sie nicht davon liefen. Es waren zwar anscheinend treue Tiere, doch man konnte nie wissen, ob nicht plötzlich etwas irgendwo hervor sprang und sie in Panik versetzte.
Die Pause wurde auch sogleich dazu genutzt, etwas zu essen. Während des Essens teilte Bohumil den anderen mit, was er herausgefunden hatte.
"Was machen wir jetzt mit den Ogern?" wollte Xantcha wissen.
"Also, meiner Meinung nach sollten wir sie nicht umbringen!" gab Bohumil seine Meinung kund. Hiranhên und Katan stimmten ihm zu.
"Wir sollten sie töten!" sagte Orgim und Ragnar stimmte ihm zu.
Als sie sich nach einer langen Diskussion immer noch nicht auf etwas einigen konnten, machten sich Orgim und Ragnar auf den Weg, um das Dorf näher zu erkunden. Hiranhên folgte ihnen zunächst unbemerkt und schloss sich ihnen dann an, während die anderen bei den Pferden blieben.
Als sie an einen Friedhof kamen, beschleunigte Orgim seine Schritte und trat durch das rostige Tor auf den Todesacker. Sofort stach ihm ein beosnders großer Grabstein, der anscheinend noch ziemlich gut erhalten war, ins Auge. Er eilte auf diesen zu und untersuchte ihn näher. Plötzlich sank er auf die Knie und schloss die Augen. Hiranhên sah ihn verwirrt an, doch sie spürte ein wenig Magie in der Luft.
Nach einigen Sekunden erhob sich der schwarze Magier wieder, holte mit seinem Stab aus und schlug auf den Grabstein. Hiranhên wich einen Schritt zurück und sah ihn verwirrt an.
"Hau mal auf den Stein", meinte Orgim zu Ragnar. Dieser sah zwar ebenfalls etwas verwirrt aus, nahm jedoch seine Axt und schlug fest auf den schwarzen Stein. Ein Riss zog sich von oben durch den Stein und teilte sich etwa in der Mitte.
"Was... wird das jetzt?" fragte Hiranhên vorsichtig.
Statt zu antworten, trat Orgim zum Grabstein und versuchte, ihn mit der Hand weiter zu zerbrechen. Dabei ging eine Ecke ab und ein Hohlraum kam zum Vorschein. Der Magier zog ein Pergament hervor und entrollte es. Die Elfe trat neben ihn und warf ebenfalls einen Blick darauf:

Am Anfang war das Nichts. Und die Kraft. Und dieser Kraft war langweilig. Sehr langweilig...

Um sich etwas Abwechslung zu schaffen teilte die Kraft das Nichts in Gegensätze, jedoch geschah dies nicht zu ihrer Zufriedenheit, die Gegensätze waren unvollkommen, da sie nur aus einem Teil bestanden: Kraft und Nicht-Kraft.

Nach langer Zeit des Experimentierens erschuf die Kraft das Licht. Doch auch das Licht schien keinen wahren Gegensatz zu besitzen. Bis sich etwas im Nicht-Licht bewegte...

Es blieb der Kraft lange Zeit verborgen, da diese das Projekt "Licht" wie die anderen unvollkommenen Experimente ruhen ließ und sich anderen Dingen zugewandt hatte. Das, was sich im Nicht-Licht bewegt hatte, begann während dieser Ruhephase einen Teil der Kraft anzuzapfen und gewann damit die Fähigkeit, selbst Dinge zu schaffen. Nach langer Zeit des Kräftesammelns war die "Dunkelheit", denn so nannte sich sie sich als Gegensatz zum Licht, bereit, löste sich vom Licht und begann damit, die alten Kreationen der Kraft nach ihrem Sinne zu kopieren. So entstanden die ersten "echten" Gegensätze: neben dem Weißen entstand das Schwarze, aus hell wurde dunkel und aus Kraft wurde Schwäche.

Doch die Kraft bemerkte, dass etwas entstanden war, das zu ihren langweiligen Kreationen echte Gegensätze herstellte. Und endlich, nach ewiger Einsamkeit, waren ihre Kreationen vervollkommnet worden, es war ein Gegenpart gefunden, der das Erschaffen lohnend machte. Gerade jetzt war die neueste Schöpfung fertig geworden, das "Leben", dem die Kraft einen Teil ihrer selbst gegeben hatte. Um hierzu einen Gegensatz zu erstellen musste die Dunkelheit lange arbeiten und somit hatte die Kraft Zeit, um sich zu regenerieren. Der erste Versuch, das Leben zu kopieren, bestand darin, einen lebensähnlichen Zustand zu schaffen, somit entstand das "Unleben". Da die Dunkelheit jedoch schwach war und es sich nicht leisten konnte, einen Teil ihrer selbst herzugeben, war das Unleben kein perfekter Gegensatz, was sich jedoch erst später herausstellen sollte. Vorerst war die Kraft wieder im Schaffen begriffen und es entstanden Wasser und Luft, durcheinanderwirbelndes Chaos, schwebend im Nichts, umschirmt von der Kraft, die ihren Gegenpart nicht zum Zuge kommen lassen wollte, bevor ihre Schöpfung vollendet war. Doch die Dunkelheit setzte eine ihrer ersten Kreationen gegen den Schild ein, die Schwäche, das Gegenstück zur Kraft selbst. So wurde der Schild durchdrungen und die Dunkelheit erspähte, was sich noch im Entstehen befand.

So ersann sie das Land, den harten Fels, um dem Wasser Einhalt zu gebieten und das Feuer, das die Luft verzehrt. Mit diesen Waffen gerüstet durchdrang die Dunkelheit die Kraft, welche noch nie zuvor angegriffen worden warm und schlug sie in die Flucht. Hierauf hob die Dunkelheit das Chaos auf und schuf Ordnung, gebot den Wassern mit Felsen Einheit und scheuchte die Luft in die Höhe. Hierauf bezog sie Stellung inmitten ihrer Ordnung und erholte sich von ihren Anstrengungen. Jedoch, Gegensätze ziehen sich an, und so stürmte das wasser immer wieder auf die Felsen ein und die Luft umschloss dieses Ringen. So entstand die Welt in ihrer Grundform, der Kugel. Die Felsen, wie viele Kreationen des Dunkels, waren unvollkommen und hielten dem andauernden Ansturm des Wassers nicht stand. So wurden die Wälle durchbrochen, es entstanden die Meere und das Land, welches sie umschließen. Unter all diesem saß nun die Dunkelheit gefangen.

Verjagt von der Dunkelheit war die Kraft in die Unendlichkeit geflüchtet, welche nur ihr zugängig war, denn alles, was sie schuf, war endlich. Geschlagen von der eigenen Kreation sann sie auf Vergeltung. Da die Dunkelheit eigentlich nur ein Gegensatz war, wählte die Kraft das Licht als Instrument ihrer Rache und verlieh im ihre gesamte Macht. So war die Kraft aus der Welt verschwunden und überließ das neu entstandene den beiden Gegensätzen. Seitdem ist die Welt gefangen im ewigen Kampf des Lichtes gegen die Dunkelheit.

"Der Schreiber hat doch etwas geraucht, als er dies niederschrieb..." murmelte Hiranhên, während sie las. Orgim nickte zustimmend.
Als sie beide fertig waren, gingen sie zurück zur Gruppe und Orgim reichte das Pergament an Bohumil.
"Was steht'n da?" fragte Ragnar, der bisher vergeblich darauf gehofft hatte, dass man ihm mitteilen würde, was auf diesem Pergament zu lesen war.
"Etwas über die Erschaffung der Welt..." murmelte Hiranhên, die sich zwar angesprochen fühlte, aber noch über den Sinn des Textes nachdachte.
"Und was genau?"
"Zuerst kam Licht, dann wurde die Dunkelheit erschaffen und schließlich unter die Erde verbannt..."
"Aha. Und nachts kommt'se wieder hoch!"
"Was machen wir jetzt mit den Ogern?" fragte Xantcha plötzlich.
"Könntet ihr bitte etwas leiser sein, ich muss das hier lesen!" grummelte Bohumil, der verzweifelt versuchte, sich auf den verwirrenden Text zu konzentrieren.
Hiranhên senkte ihre Stimme, um den Magier nicht zu stören, als sie weiter sprach: "Also, so stand das nicht im Text..."
"Is doch aber logisch! Nachts isses doch dunkel."
Die Elfe musste lächeln und erklärte Ragnar schließlich doch etwas genauer, was in dem Text stand. Er schien zufrieden zu sein.
Sie zuckte leicht zusammen, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Doch es war nur Orgim, der ihr einen Wink gab, mitzukommen. Sie folgte ihm und Bohumil in ein etwas weiter entfernt liegendes Haus.
"Also, ich blicke bei den ganzen Bezügen nicht durch!" meinte Bohumil. "Da steht doch, dass das Licht Unordnung bedeutet und Dunkelheit ist Ordnung."
Orgim nahm das Dokument zur Hand und warf nochmals einen Blick darauf. "Stimmt."
"Aber Dunkelheit ist doch schlecht für mich, trotzdem bin ich ein ordnungsliebender Mensch."
"Ich dachte als Albino ist Dunkelheit eher gut für sich..." warf die Elfe vorsichtig ein.
"Oh. Stimmt."
"Wer hat diese Dokument eigentlich verfasst?"
"Da steht nichts da."
"Schade."
Sie schwiegen eine Weile. "Was ist eigentlich auf dem Friedhof mit dir passiert?" fragte Hiranhên dann an Orgim gewandt.
"Ich sah eine Vision des zerbrochenen Grabsteins."
"Um mal wieder auf das Thema zu kommen, also auf dieses Dokument." warf Bohumil ein. "Ich finde, wir sollten es einfach einmal mitnehmen und wenn wir es brauchen, dann haben wir es dabei."
"Wer nimmt es an sich?"
Wortlos rollte Orgim das Pergament wieder zusammen und tat es in eine Innentasche seiner schwarzen Kutte.
Plötzlich ertönte ein seltsames Geräusch aus der Richtung, wo sich die anderen befanden. Eilig liefen die beiden Magier und die Elfe zurück zum Lagerplatz. Dort bot sich ihnen ein schreckliches Bild: Ragnar hatte dem großen Oger den Kopf abgeschlagen und an dieser Stelle war die Erde getränkt mit Blut. Katan stand entsetzt neben ihrem Pferd, während Xantcha und Chiara auf dem Boden saßen und tatenlos zusahen. Casali, der Bauer, hatte sich angewidert abgewendet.
Orgim rauschte auf Ragnar zu und schrie ihn an: "Warum hast du das getan?!?!?! - Ich hätte ihn noch brauchen können!!!"
"Ihr Magier bringt doch nichts zusammen!" maulte er zurück. Daraufhin wandte sich der schwarze Magier ab und stampfte einige Schritte davon. Dort blieb er mit verschränkten Armen stehen. Man konnte die Wut, die ihn umgab, fast schon sehen.
Xantcha hatte sich währenddessen ihr Seil zurück geholt, mit dem der Oger gefesselt gewesen war, während Hiranhên entsetzt da stand und auf die Leiche starrte. Ihr schossen die Bilder vom 'Verhör' des Orks durch den Kopf und sie verstand nicht, wie Menschen so grausam sein können. Als Ragnar auch noch zu dem toten Oger hinging, ihm einen Arm abhackte und dann hineinbiss, wandte sie sich angewidert ab und ging zu ihrem Pferd.
"Was machen wir jetzt mit dem Kleinen?" fragte Xantcha in die Runde, doch niemand antwortete ihr. Dieser, der bis eben geschlafen hatte, erwachte und wandte den Kopf. Als er seine tote Mutter und dann auch noch den genüsslich speisenden Kämpfer sah, wurde er blass - soweit man das bei seiner Hautfarbe überhaupt sagen konnte - und verlor vor Schreck das Bewusstsein.
Chiara sah den Kämpfer auch leicht irritiert an. Der deutete den Blick falsch und bot ihr auch ein Stück an, doch sie lehnte ab.
Um von dem schrecklichen Schauplatz weg zu kommen, gab Xantcha kund, dass sie gerne weiter reiten würde.
"Aber ich will den anderen nicht hier lassen", meinte Bohumil.
"Wollt ihr `ne Treibjagd?" fragte Ragnar grinsend, fing sich allerdings nur böse Blicke von den anderen ein.
"Kann man den nicht irgendwie aufwecken?" fragte Bohumil und stieß den Oger vorsichtig mit seinem Zauberstab an. Da fiel ihm die Magierin ein. "Du kannst doch erste Hilfe!"
Tatsächlich brachte sie den Oger nach einigen Minuten wieder zum Bewusstsein.
"Tretet zurück!" mahnte Bohumil die anderen und murmelte auch schon einige Worte. Kurz darauf erhob sich der immer noch gefesselte Oger in die Luft. Er sah zuerst etwas verwirrt aus, als er allerdings merkte, dass er selber bestimmen konnte, wohin er flog, schoss er in Richtung Osten davon. - Bohumil hatte ihm die Fähigkeit des Falkenflugs verliehen.
"Äh... wa-was hat-te-te da-das fü-für ein-nen Si-sinn?" fragte Katan.
"Na, er wird doch wohl schauen, dass er so schnell wie möglich von uns weg kommt. Und da wird für ihn der direkte Weg doch nach Hause sein." Bohumil sah triumphierend ihn die Runde und war schon auf dem Weg zu seinem Pferd.
"Aber er wird irgendwann auch wieder landen..." gab Chiara zu bedenken.
Bohumil versuchte inzwischen, aufzusitzen - was ihm nicht auf Anhieb gelang - während er weiter sprach. "Nun, aber eine gewisse Strecke wird er fliegen. Wenn wir nun die Strecke Dorf-Oger über den Oger hinaus verlängern, dann..." Er hatte es geschafft und saß im Sattel.
"Du meinst, wir haben dann zumindest eine ungefähre Richtung." vermutete Xantcha, die ebenfalls schon auf dem Rücken ihres Pferdes saß, da sie schon die ganze Zeit der Meinung gewesen war, dass sie weiter reiten sollten.
"Genau!" Sein Grisnen wurde noch breiter. "Also, los!" Er treib sein Pferd einige Schritte und blieb dann wieder stehen, um auf die anderen zu warten.
Ragnar ging noch einmal zu dem toten Oger und nahm sich noch etwas 'Proviant' mit. Zwar hatte er festegestellt, dass Oger-Fleisch irgendwie komisch shcmeckte, doch man konnte es essen.
Als alle auf ihren Pferden saßen, bemerkte Chiara, dass Casali herumstand und nicht wusste, was er tun sollte. "Wir könnten ihn auch auf ein Pferd setzen."
Bohumil sah sich in der Runde um. "Aber zu jemandem, der reiten kann." Alle Augen richteten sich auf Hiranhên.
"In Ordnung", seufzte die Elfe und half dem Bauern hinter sich aufs Pferd. Narumîr warf zwar einen skeptischen Blick auf den Mann, ließ es aber trotzdem geschehen, dass er auch noch auf seinem Rücken Platz nahm.

Als sie an die Stelle kamen, an der der Oger eigentlich wieder zu Boden gefallen sein müsste, war dort allerdings nichts.
"Und nun?"
"Reiten wir eben weiter."

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