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~*~* Kapitel 3 *~*~
Der erste Turniertag bei Heinrich dem Großen

Nach einer Wanderung von etwa sechs Tagen sahen sie die Burg und die umliegenden Gebäude schon von weitem. Von jedem noch so kleinen Türmchen wehte eine bunte Fahne und auf einer großen Wiese war der Turnierplatz mitsamt einiger Zelte für Übernachtung, Verpflegung oder die Behandlung von Verletzten aufgebaut. Auch die Tribünen waren bunt geschmückt. Doch am buntesten von allen war natürlich die Tribüne geschmückt, von der aus Heinrich die Spiele mit seinem Hofstaat genießen wollte.
Es herrschte reges Treiben: viele junge Männer wollten sich für das Trunier anmelden, sogar einige Frauen waren dabei, viele der Teilnehmer waren zu Fuß dort, nur wenige konnten sich ein Pferd leisten. Andere hatten Falken oder Hunde dabei. - Doch Ragnar war der einzige, der ein Wildschwein mitgebracht hatte.
Sie mussten einige misstrauische, böse und spöttische Blicke ertragen.
"Ragnar, warte!" Hiranhên zügelte ihren Hengst.
Der große Krieger blieb stehen und drehte sich zu ihr um. "Ja?" fragte er, als er zu ihr hoch blinzelte.
"Ich denke, es wäre einfacher, wenn du dich gleich für das Turnier anmeldest und ich mich währenddessen um eine Unterkunft für uns und die Tiere kümmere. - Naja... und wenn du Max für diesen Zweck bei mir und Narumîr lässt..." Sie hoffte inständig, dass er sich nicht wieder beleidigt fühlte, doch ihre Befürchtungen waren umsonst. Nach kurzem Nachdenken stimmte er zu und kniete sich dann vor sein Wildschwein, um ihm zu erklären, dass Hiranhên eine Unterkunft für alle suchen würde. Es war intelligent genug, um zu verstehen, was er von ihm wollte. Dann stand Ragnar wieder auf und stapfte auf den Turnierplatz zu, denn in dessen Mitte hatten sich einige Schreiber niedergelassen, die die Teilnehmer für die entsprechenden Disziplinen mit Namen aufschrieben. Die Schlangen vor ihren kleinen Tischen waren lang, doch es gab kein Schubsen und Drängen, da der Herzog seine Wachen aufgestellt hatte, um für Ordnung zu sorgen.
Ragnar stellte sich an eine Schlange und begutachtete die Konkurrenz. Es waren alle möglichen Typen vertreten. Auch einige Elfen und sogar Zwerge befanden sich unter den Teilnehmern. Den Großteil machten junge Kämpfer und Ritter aus, sowie viele Bogenschützen. Ragnar schätzte seine Chancen ziemlich gut ein.

Hiranhên sah auf Max hinunter, der sie erwartungsvoll ansah. Dann saß sie ab und führte Narumîr in die Richtung, wo sie die Stallungen vermutete. Dort standen schon andere mit ihren Pferden. Sie wurde etwas schief angeschaut, als sie mit dem Wildschwein ankam. Einige wollten nach ihren Schwertern greifen, doch Hiranhên erhob abwehrend die Hand. "Keine Sorge, er ist zahm", sagte sie. Selbst in ihren Ohren klang das absurd, aber so war es nunmal - hoffte sie.
Und es war auch so. Max lief ganz brav an Narumîrs Seite und grunzte nur ab und zu mal empört, wenn ihm jemand zu nahe kam. Das kam jedoch nicht allzu häufig vor, da sich die meisten bemühten, einen großen Bogen um ihn zu machen.
Hiranhên kam an die Reihe. "Guten Tag. Ich brauche eine Unterkunft für mein Pferd und ... für..." Sie zögerte, weil sie befürchtete, man würde sie für komplett verrückt halten. "Für ... ein Wildschwein."
"Spenden für die Tafel bitte direkt beim Schloss abgeben..."
"Neinnein. Ich meine ein lebendes Wildschwein, das auch nicht geschlachtet werden soll." Die letzten Worte sagte sie mit viel Nachdruck. "Es gehört einem Freund, der am Turnier teilnehmen will", fügte sie noch erklärend hinzu.
Der Schreiber sah zum ersten Mal auf von seinen Schriften und musterte Hiranhên. Dann warf er einen Blick auf Max, der zu ihm aufsah. Wenn man es nicht besser wissen würde, könnte man meinen, er würde den Schreiber freundlich anlächeln.
"Najaaa..." begann dieser gedehnt. "Das ist schwierig... Wir sind eigentlich nicht drauf eingerichtet, ein ... Wildschwein zu beherbergen..."
"Er könnte doch im selben Stall wie mein Pferd..."
"Ja, wenn das denn geht und keine Keilerei gibt."
Das hoffte Hiranhên ebenfalls...
Schließlich war man dann doch bereit, Max bei den Pferden unter zu bringen. Und auch Hiranhên und Ragnar wurde eine Unterkunft zugewiesen.
Nachdem die beiden Tiere untergebracht waren, nahm Hiranhên alles außer Sattel und Zaum ihres Pferdes an sich und machte sich auf die Suche nach ihrem Quartier. Sie hatte um ein etwas ruhigeres Zelt, am Rande gebeten. Daraufhin hatten die Männer sich angegrinst und ihr erklärt, sie hätten das vorletzte Zelt auf dem Platz. Sie hatte sich bedankt und war leicht verwirrt gegangen. Nun schritt sie über den beschriebenen Platz, auf dem viele bunte Zelte für eine oder mehrere Personen aufgebaut waren. Waldläufer, junge Burschen und einige Zauberernovizen waren schon kräftig dabei, sich dort wohnlich einzurichten. Je näher sie eben jenem Ende des Platzes kam, umso weniger war dort los. Genau wie sie es gewünscht hatte. Einige sahen ihr erstaunt und neugierig nach, während sie zu dem ihr zugewiesenen Zelt schritt. In einigen Blicken lag sogar so etwas wie Mitleid. Hiranhên verstand sie nicht und ging kopfschüttelnd weiter.
Doch dann sah sie plötzlich, warum die Soldaten so blöd gegrinst, warum die Leute ihr so seltsam nachgeschaut hatten, warum dieses Zelt wirklich in einer sehr ruhigen Gegend lag:
Vor dem allerletzten Zelt, das für zwei Personen ausgelegt zu sein schien, lag ein riesiges schwarzes Tier, das verdammte Ähnlichkeit mit einem Wolf hatte, jedoch eher wie ein Höllenhund aussah. Gerade in dem Augenblick trat der Besitzer dieses Ungetüms aus dem Zelt: Eine in eine lange schwarze Kutte gehüllte Gestalt, deren Gesicht im Schatten der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze lag.
Hiranhên hatte ein sehr mulmiges Gefühl, doch ging sie trotzdem furchtlos weiter. Die Gestalt wandte ihr den Kopf zu, als sie näher kam, doch blieb das Gesicht immer noch im Dunklen. Hiranhên nickte der Gestalt grüßend zu und versuchte, ein freundliches Geischt zu machen, bevor sie ihr Zelt betrat.
Drinnen ließ sie die Stoffbahn zufallen und atmete tief durch. Nun war ihr klar, warum es hier so ruhig war. Außer ihr wollte anscheinend niemand in unmittelbarer Nachbarschaft dieses sonderbaren Herren nächtigen. Und auch sie hatte ein etwas ungutes Gefühl dabei.
'Andererseits', dachte sie, 'ist ja auch noch Ragnar da...' - Ragnar? Wo war der überhaupt? Sobald sie ihre Sachen abgelegt hatte, wollte sie sich nach ihm auf die Suche machen.

Dieser war unterdessen sogar schon an die Reihe gekommen und hatte sich für alle Disziplinen, die es auf dem Turnier gab, angemeldet. Nachdem er dies erledigt hatte, sah er sich auf dem Gelände um und sah sich bei dieser Gelegenheit auch gleich seine Gegner an. Er war erstaunt, dass sich auch Frauen gemeldet hatten. Sie fielen zwar kaum auf in der großen Menge, doch Ragnar bemerkte sie trotzdem. Eine Waldläuferin stand am Rande des Geschehens und hatte einen hübschen Falken auf dem Arm.
"Ragnar!" hörte er da Hiranhêns Stimme. Er wandte sich um und sah sie auf sich zu kommen. Sie hatte ihren Bogen und den Köcher abgelegt, trug aber dafür ihren Mantel.
"Wo ist Max?" fragte er sofort, als sie bei ihm stand.
"Bei Narumîr in der Box."
"Geht es ihm auch gut?"
"Ich denke schon. - Komm, ich zeige dir unser Zelt." - 'Und unseren Nachbarn...' fügte sie in Gedanken hinzu.

Der Herzog hatte keine Kosten und Mühen gescheut für sein Turnier. Nicht nur, dass die Unterkunft für alle von weiter weg völlig frei war und den Gewinnern der Wettbewerbe attraktive Preise winkten, auch die Verpflegung kostete nichts und jedem stand so viel Met zur Verfügung, wie er trinken konnte. Sogar sieben erstklassige Spielleute aus dem fernen Poztupimi hatte er herbei geholt, deren Ruhm weit reichte und sich auch schon hierzulande herumgesprochen hatte. Das außergewöhnliche an diesem Ensemble war, dass sich auch eine Frau unter ihnen befand, die übrigens hervorragend Geige spielte.
Da das Turnier erst am nächsten Tag beginnen sollte, hatten Hiranhên und Ragnar noch genügend Zeit, es sich in ihrem Zelt gemütlich zu machen. Es gefiel beiden zwar ganz und gar nicht, dass man das Zelt ja nicht absperren konnte, doch waren sie sich andererseits auch sicher, dass, wenn sich Diebe unter den Leuten befanden, keiner in die Nähe von ihrem Zelt kommen würde - dafür würde schon ihr unheimlicher Nachbar sorgen...
Es wurde schon dämmrig, als die ersten sich in die Richtung des Zeltes schoben, wo es Met und Musik gab. Ragnar wollte Hiranhên überreden, auch mit ihm dorthin zu gehen, doch sie versicherte ihm, dass solche Saufereien nichts für sie seien und sie lieber an der frischen Luft bleiben wolle.
"Naja, wenn du meinst..." Ragnar zuckte mit den Schultern und marschierte dann zu dem Zelt. Er wollte sich noch amüsieren.
Hiranhên schlenderte zum Turnierplatz. Die Musik aus dem Zelt schwappte auch hier herüber. Die Weisen, die der Sänger mit markanter Stimme ins Publikum schmetterte, handelten größtenteils von Liebe, Räubern und Jungfrauen. Es waren auch ein paar Minnegesänge darunter. Es gab jedoch auch Stücke, die einfach nur dazu gedacht waren, zu tanzen und mitzusingen. Sie wurde neugierig, wer diese Spielleute waren, deshalb machte sie sich doch auf den Weg zum Festzelt.
Vorsichtig warf sie einen Blick hinein. Es war schon gut gefüllt und jeder feierte auf Teufel komm raus. Ihr kam der Gedanke, dass Met ausgezeichnet dazu geeignet war, den Leuten die Zunge zu lösen und sie hier ein paar Gerüchte aufschnappen konnte in Bezug auf die Reiter. Und so ging sie doch hinein, suchte sich jedoch wieder einen Platz sehr am Rande.
Tatsächlich schnappte sie einige Gesprächsfetzen auf, die ihr nützlich erschienen. Allerdings wusste sie immer noch nichts genaueres. Nur, dass sie aus einem fernen Land kamen, das von einem dunklen König regiert wurde. Und dass sie dessen Leibgarde waren. Sie erfuhr allerdings weder, wo dieses Land war, noch wie es oder sein König hieß.
Sie beschloss, früh zu Bett zu gehen, da sie sich unwohl fühlte in dem vollen Zelt.
Vorher ging sie noch einmal zu Narumîr, um nach ihm zu sehen. Er und Max hatten sich inzwsichen angefreundet und standen friedlich in ihrer Box.

Der nächste Tag verlief noch turbulenter als der vorige, da jeder wahnsinnig gespannt war auf das Turnier und vor allem auch auf die Teilnehmer.
Der erste Wettbewerb war das Armbrustschießen. Er bestand aus drei Runden: In der ersten schossen die Teilnehmer aus zehn Meter Entfernung auf eine einen Meter große Zielscheibe. Dabei gab es zehn, fünf und zwei Punkte. Jeder Teilnehmer hatte zehn Schuss.
Bevor der jeweilige Teilnehmer zu schießen begann, wurde er dem Publikum vorgestellt.
Außerdem waren die Teilnehmer in Altersklassen unterteilt: zum einen die unter 18-jährigen, wovon nicht sehr viele anwesend waren, dann die 18- bis 20-jährigen, wovon schon mehr dort waren, dann die 21- bis 23-jährigen, was die größte Gruppe war, und auch eine Gruppe mit allen zwischen 24 und 28. Ältere Teilnehmer waren für das Turnier nicht mehr zugelassen, da es sich ja um ein Nachwuchsturnier handelte. Die letzte Gruppe war die zweitkleinste.
Hiranhên interessierte sich nicht besonders für die erste Gruppe, da Ragnar erst in der zweiten dabei sein würde, deshalb schlenderte sie vorher noch über den Festplatz und sah sich um. Dann kündigten die Trompeten an, dass der erste Wettbewerb vorbei war und die zweite Abteilung den Platz betrat. Hiranhên lief schnell zum Platz und kletterte auf einen der in der Nähe stehenden Bäume, um besser zu sehen und sich trotzdem nicht auf die Tribüne begeben zu müssen.
Gleich als erstes kam ihrer und Ragnars unheimlicher Zeltnachbar an die Reihe. Er wurde als Orgim Doomhammer vorgestellt. Von seinem Wolf fehlte weit und breit jede Spur, wahrscheinlich lag er noch immer vor dem Zelt und hielt Wache.
Orgim erziehlte 61 Punkte. Nach einigen Schüssen konnten die Zuschauer in den ersten Reihen ein "Harrrrrr!" aus seinem Munde hören.
Als nächstes kam ein Zauberer, der leicht verpeilt aussah. Sein Name war Bohumil. Er war sehr ungeschickt und schoss mehr auf alles, was außerhalb der Zielscheibe war. Aber immerhin schaffte er doch 6 Punkte. Die Zuschauer waren froh, als er den Platz wieder verließ, besonders die, die in der Nähe des Bereiches der Zielscheiben saßen oder standen.
Hiranhên traute ihren Augen kaum, als die nächste Teilnehmerin den Platz betrat. Es handelte sich um das Mädchen, das sie schon in der Stadt gesehen hatte. Sie konnte kaum glauben, dass es Zufall war, dass sie sich hier wieder trafen. Wie sie erfuhr, hieß das Mädchen Xantcha. Sie stellte sich gar nicht so ungeschickt an, schaffte jedoch trotzdem nur 47 Punkte. Missmutig verließ sie den Platz wieder.
Dann war Ragnar an der Reihe. Er betrat entschlossen den Platz und schaffte eine grandiose Punktzahl von 95 Punkten. Das Publikum jubelte laut und auch Hiranhên applaudierte ihrem Freund. Er selber schien zwar einerseits damit gerechnet zu haben, dass er ziemlich gut abschneiden würde, trotzdem zeigte sich auf seinem Gesicht Überraschung, als das Ergebnis verkündet wurde. Er lag in Führung.
Nach ihm kam eine weitere Teilnehmerin: Es war die junge Waldläuferin, die Ragnar schon am Vortag gesehen hatte. Sie hieß Katan und schaffte immerhin 77 Punkte mit ihren zehn Schuss. Damit lag sie auf dem zweiten Platz, noch vor Orgim und Bochumil. Die Männer im Publikum schienen überrascht, die Frauen hingegen jubelten ihr zu.
Als letztes kam ein gewisser Robin H. aus SWF, wie er sich selber vorstellte. Er hatte einen leichten Akzent. Mit seinen 90 Punkten verdrängte er Katan vom zweiten Platz. Doch es schien ihn zu ärgern, dass es jemanden gab, der besser war, als er, denn Hiranhên konnte sehen, wie er Ragnar einen beleidigten Blick zuwarf. Dieser grinste ihm nur breit entgegen.
Damit waren alle Teilnehmer dieser Altersklasse an der Reihe gewesen und es folgten die älteren. Hiranhên fand es nicht weiter interessant und begab sich zu Ragnar, um mit ihm zu reden. Er war umringt von einigen anderen, die ihm gratulierten zu seinem großartigen Auftakt. Als er die Elfe schüchtern am Rande stehen sah, ging er zu ihr und ließ die anderen links liegen.
"Gut hast du das gemacht! Herzlichen Glückwunsch!" Sie reckte sich, um ihm auf die Schulter zu klopfen.
"Ach, so schwer ist das ja nicht..." Ragnar winkte verlegen ab.
Es dauerte noch eine Weile, bis die zweite Runde begann. Die Zeit bis dahin saß Hiranhên entweder etwas abseits und beobachtete interessiert das Treiben oder sie lauschte einigen Gesprächen. Ragnar besuchte währenddessen Max.
Als es weiter ging mit seiner Altersklasse, wurde zuerst verkündet, dass Bohumil ausgeschieden war. Dann kamen die anderen Teilnehmer an die Reihe. Dieses Mal jedoch schoss jeder gleichzeitig, um die Zeit nicht unnötig lang zu ziehen. Die Teilnehmer waren inzwischen ja vorgestellt. Die Zielscheibe war nur noch 70cm groß und die Entfernung betrug dieses Mal 15 Meter. Die Punkteverteilung blieb jedoch die gleiche.
Nachdem jeder seine zehn Schuss abgegeben hatte, wurden die Punkte gezählt und dann verkündet:
"Ragnar hat 92 Punkte erzielt, die junge Xantcha 34, Orgim Doomhammer schaffte 58 Punkte, die Waldläuferin Katan 43 und Robin H. aus SWF meisterte 71 Punkte!"
Somit war Ragnar wieder auf dem ersten Platz. Er freute sich sichtlich darüber. Da die Zeit bis zur Endrunde dieses Mal nicht so lange sein würde, wartete Hiranhên ab und sah sich auch die anderen Teilnehmer an. Besonders die letzte Gruppe erreichte sehr hohe Ergebnisse, was allerdings nicht verwunderlich ist, da sie ja aus wesentlich älteren Teilnehmern bestand.
Endlich kam es zur Endrunde. Zuerst wurde kund getan, dass die beiden Mädchen auch ausgescheiden waren und somit nur noch drei im Finale waren: Orgim, Ragnar und Robin.
Dieses Mal wurde wieder einzeln - aus 20 Meter Entfernung - geschossen, um die Spannung zu erhöhen. Zuerst kam Orgim an die Reihe und schoss nur 30 Punkte. Doch würde ihm das für einen dritten Platz durchaus ausreichen, da er es bis in die Endrunde geschafft hatte.
Danach war Ragnar an der Reihe und traf ebenfalls weniger als vorher: nämlich 65 Punkte.
Als letztes kam Robin H. an die Reihe. Er schoss zwei Volltreffer. Doch beim dritten Schuss riss ihm die Sehne seiner Armbrust und klatschte ihm ins Gesicht. Er schrie erschrocken auf und verriss den Schuss. Der Pfeil schoss gen Himmel und als er wieder herunter kam, landete er auf dem Stoffdach der Tribüne des Herzogs und blieb dort stecken. Über Robins Gesicht rann Blut, doch er winkte ab, als man ihm zu Hilfe eilen wollte. Er verlangte nur nach einer neuen Armbrust, um den Wettbewerb beenden zu können. Man gab sie ihm. Doch er war für den Rest des Wettbewerbs leicht gehandycapt, da ihm immer wieder Blut über ein Auge lief und er so weniger sah. Trotzdem schaffte er bis zum neunten Schuss 60 Punkte. Hiranhên warf einen Blick auf Ragnar, auf dessen Gesicht sich große Sorge spiegelte. Auch Robin war sich bewusst, dass er nun einen Volltreffer brauchte, um zu gewinnen. Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und den Augen, setzte so ruhig wie möglich an, zielte - und traf! Ein Volltreffer! Damit hatte er den Wettbewerb gewonnen! Erleichtert ließ er die Armbrust zu Boden sinken und stützte sich erschöpft auf den Begrenzungsbalken vor ihm.
Ragnar sah zwar enttäuscht aus, allerdings schien er sich auch über seinen zweiten Platz zu freuen, denn seine - im wahrsten Sinne des Wortes - wirklich starke Disziplin kam ja erst noch eine Woche später, am zweiten Tag des Turniers: der Nahkampf.
Nachdem Robin sich sein Preisgeld abgeholt hatte, begab er sich sofort ins Sanitätszelt, um seine Wunde versorgen zu lassen. Ragnar hatte immerhin auch 2000 $ erhalten, Orgim für seinen dritten Platz 500 $.
Nach einer kleinen Pause folgte der nächste Wettbewerb, für den sich bei weitem nicht so viele angemeldet hatten: das Bogenschießen. Die Bedingungen waren dieselben wie beim Armbrustschießen. Doch trotzdem schien es sehr unbeliebt zu sein, weswegen alle in einer Gruppe antraten, egal wie alt sie waren.
Die Teilnehmer waren Ragnar, die schon bekannte Katan, ein Mensch namens Erwin und ein Elf, der Legolas genannt wurde. Er war Hiranhên sofort sympathisch und sie hoffte, dass wenn nicht Ragnar, dann doch er gewinnen würde.
Als erstes war Ragnar an der Reihe. Er schaffte immerhin 56 Punkte, wurde allerdings von Katan weit überboten, die hier 95 Punkte erreichte. Auch Erwin war besser mit seinen 85 Punkten. Dann kam Legolas an die Reihe. Hiranhên drückte die Daumen. Und es schien geholfen zu haben, denn er hatte am Ende 100 Punkte.

Legolas legt zum Schuss an...

Da in der ersten Runde noch niemand ausschied, sah das Teilnehmerfeld in der zweiten Runde ebenso aus. Ragnar hatte anscheinend doch noch nicht verwunden, dass er beim vorigen Wettbewerb nur zweiter geworden war und war dementsprechend unkonzentriert. Deshalb schaffte er auch nur 25 Punkte. Katan wurde immer besser und erzielte einen Volltreffer nach dem anderen, was ihr damit 100 Punkte bescherte. Die Menge, besonders der weibliche Teil, jubelte ausgelassen. Erwin war ebenfalls besser als Ragnar und konnte 60 Punkte für sich gutschreiben. Legolas verfehlte bei einem Schuss die Mitte der Zielscheibe um ein paar Zentimeter und hatte so nur 95 Punkte, doch es wäre auch zu schön gewesen, wenn er eine weitere Volltreffer-Runde hingelegt hätte.
Nachdem Ragnar die geringste Punktzahl hatte, war er in der Endrunde nicht mehr dabei. Doch erstaunlicherweise schien er gar nicht so traurig darüber zu sein, denn er setzte sich wohlgesinnt an den Rand und sah den übrig gebliebenen Teilnehmern zu.
Leider schien jedoch auch Legolas plötzlich vom Pech verfolgt zu sein, denn nach dem fünften Schuss riss auch seine Bodensehne und verletzte ihn an der Hand und im Gesicht. Hiranhên sprang erschrocken auf und stieß sich den Kopf an einem Ast über ihr, doch sie behielt das Gleichgewicht und hatte nur leichte Kopfschmerzen.
Bei seinen restlichen Schüssen, die er mit einem neuen Bogen absolvieren musste, zitterte Legolas wegen der Verletzung an der Hand leicht, wodurch sie nicht alle gelangen und er am Ende nur 49 Punkte hatte. Nachdem er fertig war, begab er sich sofort zum Sanitätszelt, um sich versorgen zu lassen. Denn er wollte zumindest bei der Siegerehrung dabei sein.
Hirahên war unentschlossen, ob sie nach ihm sehen sollte oder dem restlichen Wettbewerb folgen sollte, denn es interessierte sie schon, wie Katan abschnitt. Da fiel ihr auf, wie viele Menschen sie passieren müsste, wenn sie zum Zelt wollte. Also beschloss sie, noch auszuharren. Und es lohnte sich auch, dass sie so entschieden hatte, denn Erwin lieferte eine wirklich lustige Vorstellung. Verunsichert durch den Unfall seines Gegners vorher traute er sich nicht mehr richtig, die Sehne voll zu spannen und so schaffte er denn auch nur 21 Punkte.
Wenn Katan nicht ebenfalls so nervös war und totalen Unsinn fabrizierte, hatte sie gute Chancen, das Turnier zu gewinnen. - Und das tat sie dann auch: mit 61 Punkten wurde sie erste. Sie konnte es erst kaum glauben und freute sich dann umso mehr darüber.
Sie erhielt 5000 $ Preisgeld und außerdem stand ihr die eine Woche Ausbildung beim besten Kämpfer des Landes zu. Der Jubel der Menge war groß.
Da die Sonne bereits hoch stand, entschloss sich Herzog Heinrich, vor dem nächsten Wettbewerb, dem Messerwerfen, eine längere Pause einzulegen.
Während dieser Pause gab es in dem Zelt, das am Vorabend als Festzelt gedient hatte, auch etwas zu essen. Hiranhên bat Ragnar, ihr etwas mitzubringen, da sie sich nicht selber unter die vielen Leute mischen wollte. Er tat das auch. Nachdem sie eine Kleinigkeit gegessen hatte, ging sie zu den Stallungen und trenste Narumîr. Er war es nicht gewohnt, den ganzen Tag im Stall zu stehen, deshalb wollte sie ihm etwas Bewegung verschaffen.
Max folgte ihr wie ein Hund. Jedoch nur, bis er Ragnar erblickte. Da war er nicht mehr zu halten und stürmte auf den großen Krieger zu, der gerade sein Mittagessen verspeiste. Hiranhên ließ ihn rennen und lenkte Narumîr etwas von der Burg weg.
Unterwegs sah sie einige, die sich schon auf den nächsten Tag vorbereiteten und noch fleißig übten. Als sie sie eine Weile beobachtet hatte, stellte sie fest, dass sie wahrscheinlich recht gute Chancen haben würde, wenn sie selber auch teilnehmen würde. Doch sie wusste nicht, ob es jetzt noch möglich war, sich anzumelden. Außerdem war sie immer noch unsicher, ob es ihr nicht zu viele Menschen wären, die sie beobachten würden.

Wieder waren es die Trompeten, die die Fortsetzung des Turniers ankündigten. Hiranhên hatte keine Zeit mehr, Narumîr noch in den Stall zu bringen und so stellte sie sich mit ihm etwas abseits hin. Wenn sie nichts sah, konnte sie sich notfalls immer noch auf seinen Rücken setzen. Doch darum brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, denn die meisten versuchten, nach dem reichhaltigen Mittagsmahl, einen Sitzplatz im Schatten zu bekommen.
Die Bedingungen beim Messerwerfen waren etwas anders, als vorher, obwohl es auch darum ging, ein Ziel zu treffen. In der ersten Runde war dieses Ziel eine Zielscheibe, in der zweiten und dritten Runde allerdings bestand das Ziel aus mehr oder weniger Freiwilligen, die zwar gepolstert waren, aber trotzdem versuchen sollten, so wenig wie möglich getroffen zu werden. Der Herzog wusste, dass die Leute teilweise blutrünstig waren und es sie sehr erfreute, wenn er ihnen derartige "Schmankerl" präsentierte.
Die Teilnehmer waren wieder unterteilt in Altersgruppen, wie beim Armbrustschießen, da sich auch hier einige gemeldet hatten.
Nach einiger Zeit, die Hiranhên auf ihrem Platz stand und während die erste Gruppe an der Reihe war, gesellte sich Max zu ihr. Grunzend ließ er sich in Narumîrs Schatten nieder und döste.
In der Altersklasse, in der auch Ragnar antrat, waren außerdem noch Katan, die Gewinnerin des Bogenschießens, Xantcha, ein Pirat, der sich der "Rote Korsar" nannte und ein Taschenspieler, der eigentlich auf Jahrmärkten auftrat und sich "Der Große Zampano" nannte.
In der ersten Runde, als es darum ging, auf die Zielscheibe zu werfen gab es keine besonders überragenden Ergebnisse. Lediglich Xantcha und Katan mit 50 und 45 Punkten zeigten den Männern, wo es lang ging.
Die zweite Runde verlief schon spannender: Xantcha, die als erste an der Reihe war, traf mehrmals, wobei die Punkte danach gewertet wurden, wo sie den armen Teufel traf. Insgesamt schaffte sie 12 "Schadenspunkte", wie es genannt wurde. Der Mann unter der Polsterung überlebte zwar, war jedoch leicht verletzt.
Katan hatte anscheinend Mitleid mit ihrem Ziel und machte deshalb nur zwei "Schadenspunkte". Doch es schien sie nicht zu stören, da sie ja schon den vorigen Wettbewerb gewonnen hatte.
Ragnar erreichte zwar nur 10 "Schadenspunkte", traf jedoch so gezielt, dass der Läufer gleich nach dem ersten Wurf tot war. Das Publikum schrie in einer Mischung aus Entsetzen und Entzücken auf. Sofort eilten einige Magier auf den Turnierplatz und nahmen sich des Toten an. Dank ihrer schnellen Hilfe und ihrem großartigen Können in diesen Angelegenheiten konnte er wiederbelebt werden. Allerdings musste er trotzdem noch ins Sanitätszelt.
Der "Rote Korsar" erzielte ebenfalls 10 "Schadenspunkte", sein Ziel wurde allerdings nur bewusstlos. Es kamen einige Angestellte auf den Platz und trugen den Bewusstlosen fort zur weiteren Versorgung.
Hirahên fand das alles langsam leicht übertrieben, doch andererseits konnte sie auch nicht sagen, dass man sich zumindest nicht gut um die Verletzten kümmerte. Und so wie es aussah würden sie es alle relativ unbeschadet überstehen.
Der "Große Zampano" machte nur 4 "Schadenspunkte", was damit zu entschuldigen war, dass er normalerweise darauf trainierte, eben nicht zu treffen und es schwer ist, sich auf die Schnelle umzugewöhnen.
Nachdem Katan die geringste Punktzahl hatte, durfte sie am Finale nicht mehr teilnehmen. Dafür aber war Xantcha noch dabei, die jedoch nie traf, da ihr Ziel sehr beweglich war und es immer schaffte, auszuweichen.
Auch Ragnar und der Taschenspieler schafften gerademal 2 Punkte, was zu einem Stechen zwischen den beiden führte: Diesmal ging es darum, wer zuerst irgendeinen Schaden machte. Es war Ragnar, der wesentlich stärker war als der schmächtige Taschenspieler.
Zum Schluss kam noch der Pirat an die Reihe. Er war ein grandioser Messerwerfer und erreichte 12 Punkte. Damit hatte er diesen Wettbewerb gewonnen.
Ragnar kam wieder auf den zweiten Platz und erhielt 2000 $. Der Taschenspieler war am Ende auf dem dritten Platz.
Hiranhên ließ Narumîr dort stehen, wo er war, da sie wusste, dass er nicht weglaufen würde und ging zu ihrem Freund, um ihm zu gratulieren.
Den Rest der Spiele wollte sie sich nicht mehr anschauen, deshalb machte sie einen weiteren Ausritt, auf dem sie von Ragnar und seinem Wildschwein begleitet wurde. Erst am späten Nachmittag kamen sie zurück. Ragnar meinte, er wolle ein bisschen herumlaufen. Hiranhên ging unterdessen zu den Stallungen und teilte den Knechten dort mit, dass sie die Box nicht mehr bräuchte, da sowohl das Pferd als auch das Schwein die nächste Nacht beim Zelt bleiben sollten.

Am Abend war in dem Festzelt wieder eine reichhaltige Tafel aufgebaut, von der sich jeder bedienen durfte. Außerdem sorgten die Spielleute vom Vorabend wieder für die musikali-sche Unterhaltung. Diesmal allerdings nicht so lange, da noch die ersten Feierlichkeiten für die Sieger angesetzt waren.
Die Erst, Zweit- und Drittplazierten wurden auf die Bühne gebeten. Für sie waren die Wettbewerbe noch nicht vorbei, denn da es eine weibliche Siegerin, nämlich Katan, gab, wurde ein Herr ausgelost, der zusammen mit ihr eine Tanzrunde hinlegen sollte. Die Wahl fiel dabei auf Ragnar, neben dem Katan klein und zerbrechlich wirkte. Doch trotz dem Umstand, dass sie alles andere als ein perfektes Paar waren, sah es gar nicht so schlecht aus, was sie boten. Obwohl Ragnar öfters mal einige falsche Schritte machte, schaffte Katan es, dies durch elegante Bewegungen zu überspielen. Fortan hatte sie einen Ruf als gute Tänzerin unter denen, die ihrer Darbietung beigewohnt hatten - was nicht gerade wenige waren.
Die anderen Sieger der Wettbewerbe hatten keine Lust, weiteres zu bieten oder standen schon unter zu großem Alkoholeinfluss, um überhaupt etwas sinnvolles zu tun.
Nachdem das Publikum von dem Tanz angetan war, beschlossen die Preisrichter, die beiden auch noch einzeln etwas darbieten zu lassen, wobei Ragnar den Anfang machen sollte. Die einzige Vorgabe war, sich irgendwie zur Musik passend zu bewegen. Da Ragnars Kreativität nicht besonders hoch war, entschied er sich für einige Kunststücke mit seiner Axt, was die Leute dann allerdings doch wieder beeindruckte. Besonders diejenigen, die auch solche Haudegen waren wie er fanden Gefallen daran, wie er seine Waffe zu führen vermochte. So verließ er also trotz der nicht besonders einfallsreichen Darbietung doch ohne Gesichtsverlust die Bühne.
Katan hatte etwas mehr Bedenkzeit, um sich etwas zu überlegen. So hatte sie natürlich auch bessere Ideen, was man den Leuten bieten könnte und sie schaffte es auch, das gut umzusetzen: Sie bewegte sich zur Musik und schaffte es gleichzeitig, ihren Falken einige Kunststücke ausführen zu lassen. Nach ihrer Darbietung jubelte das Publikum laut und klatschte begeistert Beifall.
Nach diesem kleinen "Spiel" waren die beiden dann wieder entlassen und Akrobaten, Jongleure und Taschenspieler sorgten für die weitere Unterhaltung, begleitet von leise dahinplätschernder Musik. Das Volk feierte ausgelassen und auf den vorderen Plätzen des Zeltes, die nahe bei der Bühne waren, gab es keinen freien Platz mehr.
Doch das störte Hiranhên nicht, da sie sich von Anfang an den Platz in der hintersten Ecke des Zeltes gesucht hatte. Und dort war sie auch die ganze Zeit geblieben, nur einmal war sie aufgestanden, um sich ein Glas Bier und einige Brotstücken zu holen. Niemand hatte sich zu ihr an den Tisch gesetzt, da sich alle das Schauspiel auf der Bühne ansehen wollten und so versuchten, möglichst weit vorne Plätze zu ergattern.
Während sie noch an ihrem Tisch saß und gerade den Schaum ihres Bieres betrachtete, kam ein junger Zauberer mit einem großen Teller, auf dem er sich viel von dem guten Essen draufgeschaufelt hatte, an ihren Tisch.
Hiranhên sah auf und blickte in ein unrasiertes Gesicht, das von strähnigen Haaren eingerahmt wurde. Ihr Gegenüber sah zwar unattraktiv aus, doch das leichte Grinsen, das seine Lippen umspielte, machte ihn auch irgendwie wieder nett. Sie erkannte in ihm Bohumil, der bei dem Wettbewerb am Vormittag eine so lustige Vorstellung gegeben hatte.
"Oh, holde Maid, seid Ihr schon breit?" fragte er mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck.
"Habt Ihr zu viel getrunken?" fragte Hiranhên lächelnd zurück.
"Nein, es war der polnische Nudelsalat, der mir dies antat!" konterte er wieder.
Beide mussten lachen.
"Wollt Ihr Euch setzen?" fragte Hiranhên.
"Ja, gerne."
"Bitte!" Sie rutschte etwas zur Seite, um zu zeigen, dass sie ihm dies auch gewähren würde, woraufhin er sich setzte und sich dann seinem Essen zuwandte.
Hiranhên betrachtete ihn dabei genauer. Dabei wurde ihr auch klar, warum er sich zu ihr gesetzt hatte und nicht versucht hatte, weiter vorne einen Platz zu bekommen: Er war ziemlich dünn und schien nicht über besonders große körperliche Kräfte zu verfügen. Die würde er aber brauchen, denn die Menschen waren sehr schadenfroh und hätten mit ihm wahrscheinlich so manchen Schabernack getrieben, gegen den er sich dann nicht hätte wehren können.
Nach dieser Feststellung hielt sie wieder Ausschau nach Ragnar. Sie entdeckte ihn, wie ihn gerade einige andere starke Kerle hochleben ließen. Doch dann ließen sie ihn wieder runter und Hiranhên war sich nicht mehr sicher, ob sie ihn in dem Getümmel richtig erkannte, das auf einmal dort vorne herrschte. Da sah sie plötzlich, wie sich die Menge aus seiner Richtung her teilte und dann wieder schloss. Kurz darauf sah sie den Kämpfer mit einem verbissenen Gesichtsausdruck aus dem Zelt stürmen. Sie war zu weit entfernt gewesen von ihm, sonst hätte sie die Situation, die Anlass für seinen Abgang war, mitbekommen.
Nachdem Ragnar wieder auf dem Boden stand und ihm von überall her die Menschen auf die Schultern klopften, war einer, der eine ähnliche Statur hatte, wie er, zu ihm getreten und hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt: "Mensch, du musst gefeiert werden! - Was willst'n trinken?"
Da Ragnar keinen Alkohol trank, hatte er geantwortet: "Ach, bloß Wasser."
"Ach komm, jetzt hab dich nicht so!" versuchte man ihn zu überreden.
Doch Ragnar blieb standhaft: "Nee, Wasser reicht!"
Der andere ließ seinen Arm sinken und sah ihn skeptisch an. "Najaaa, wenn du meinst..."
Doch die anderen kamen nicht damit klar, dass Ragnar keinen Alkohol trank. Sie hielten ihn nicht mehr für den großen Helden, sondern eher für etwas seltsam.
"Weichei!" rief einer.
"Du bist ja langweilig!" ein anderer.
Es wurden noch weitere Rufe laut:
"Hau doch ab!"
"Ja, verschwinde!"
Als Ragnar sie daraufhin verwirrt anstarrte, wurde er geradezu weggestoßen.
"Geh' schon!" meinte einer zur Bekräftigung seiner Worte.
Ragnar ging leicht enttäuscht zur nächsten Gruppe, doch auch dort wollte man ihn nicht haben, denn auch die hatten mitbekommen, dass er das ihm angebotene Bier oder Met verweigert hatte.
Nun war Ragnar zutiefst beleidigt. "Dann feiert doch alleine, ihr ... ihr asozialen Säcke! Ihr Säufer, ihr!" rief er ärgerlich und machte auf dem Absatz kehrt. Die Menschen wichen erschrocken vor ihm zurück, als er wie ein wütender Eber zum Ausgang und schließlich aus dem Zelt stürmte.
Hiranhên sprang sofort auf, um nach ihrem Freund zu sehen. Bohumil sah verwundert auf und starrte ihr verdutzt hinterher. Dann wandte er sich kopfschüttelnd wieder seiner Mahlzeit zu. "Frauen..." murmelte er und nahm einen kräftigen Schluck Met.

Hiranhên fand Ragnar etwas abseits des Zeltes auf der Erde sitzen. Er starrte grimmig vor sich hin. Ragnar sah kurz auf, als sie näher trat.
"Was hast du denn?" fragte sie teilnahmsvoll und hockte sich neben ihn.
"Die mögen mich alle nich!" schniefte Ragnar.
"Ja, aber warum denn?"
Nun wurde seine Stimme etwas bitter: "Weil ich keinen Alkohol trinke! - Diese Saufköpfe!"
"Ach, nimm's doch nicht ganz so schwer..." Sie legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. "Willst du nochmal ins Festzelt?"
"Demnächst jetzt bestimmt nicht so schnell..." grummelte er.
"Wollen wir dann zu unserem Zelt gehen? Und zu Max?" Hiranhên hoffte, dass sie ihn damit etwas aufheitern könnte.
"Zum Max?" Tatsächlich hellte sich Ragnars Miene auf, als er den Namen seines Wildschweins hörte. "Gute Idee!"
Die beiden erhoben sich wieder und gingen zu ihrem Zelt.

Während dessen, nämlich kurz nach der kleinen Tanzvorführung, als Katan die Bühne gerade wieder verlassen hatte, trat ein junger Knappe an sie heran und teilte ihr mit, dass der Herzog sie zu sich an seine Tafel eingeladen hatte. Katan war hoch erfreut und folgte dem Jungen. Auf dem Weg dorthin musste sie immer wieder Leuten die Hände schütteln und sich von ihnen auf die Schulter klopfen lassen.
"Ah, die Waldläufer-Dame!" rief der Herzog aus, als Katan an seinen Tisch herantrat. "Setzt Euch doch!" er deutete auf einen Stuhl in seiner Nähe. Katan setzte sich dankend auf den ihr zugewiesenen Platz und sah sich ihre Tischnachbarn an. Es handelte sich ohne Zweifel um die Elite-Waldläufer des Herzogs. Sie war hoch erfreut, mit denen Bekanntschaft zu machen. Doch das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn auch diese waren sehr freundlich und bald waren sie in ein angeregtes Gespräch über Falknerei, Tiere und Naturkunde allgemein vertieft. Dabei beeindruckte Katan die Männer, die alle zwischen 23 und 26 waren, mit ihrem umfassenden Wissen.
Schließlich fragte einer ihrer Nachbarn, ein schon etwa dreißigjähriger Waldläufer, bei dem es sich offenbar um den Anführer der Truppe handelte, sie, ob sie nicht Lust hätte, eine Woche mit ihnen durch den Wald zu ziehen. Katan sah ihn erstaunt an, da sie nicht gedacht hatte, dass man sie, eine weibliche, noch recht junge Waldläuferin, auf so einer Tour dabei haben wollte.
Doch dann willigte sie begeistert ein. Nachdem der Anführer, der sich als Tavarien vorgestellt hatte, und sie das mit einem Handschlag besiegelt hatten und die ganze Waldläuferrunde darauf anstieß, wurde noch kräftig weiter gefeiert.

Von allen unbemerkt hatte sich Xantcha ins Zelt geschlichen. Sie sah sich nach schon betrunkenen oder anders abgelenkten Leuten um, die sie bestehlen wollte.
Nach einiger Zeit entdeckte sie einen Magier, der nicht besonders kräftig aussah und schon ziemlich betrunken vor seinem Glas hing. Er hatte ein seeliges Grinsen auf dem Gesicht. Hinten, an seinem Gürtel hing ein Beutel, der offenbar gefüllt zu sein schien.
Xantcha näherte sich unauffällig dem Magier. Sie wollte unbedingt wissen, was sich in dem Beutel befand, um beurteilen zu können, ob sich ein Diebstahl lohnen würde. Deshalb griff sie vorsichtig hinein. Zu ihrer großen Überraschung verschwand ihre Hand fast komplett in dem Beutel, obwohl er von außen nicht danach aussah, als wäre er besonders groß.
Sie tastete etwas umher und fühlte plötzlich etwas Haariges und außerdem noch, dass der Beutel längst nicht voll war. Neugierig geworden fummelte sie weiter. Doch dann bewegte sich das Haarige plötzlich. Xantcha konnte den Impuls, die Hand ruckartig zurück zu ziehen, gerade noch unterdrücken und zog sie stattdessen vorsichtig wieder heraus.
Nun hatte ihre Neugier sie endgültig gepackt. So griff sie nach ihrem Messer und schnitt das Lederband, an dem der Beutel hing, kurzerhand durch. Dabei ruckte sie leicht an dem Gürtel. Der Magier sah sich erstaunt, aber recht verpeilt und mit einem ziemlich benebelten Blick um. Als er sich ganz rumgedreht hatte, sah er Xantcha verschlafen an. Sie versteckte den Beutel hinter ihrem Rücken und lächelte ihn freundlich an. Der Magier grinste breit und winkte ihr zu, bevor er sich wieder seinem Bier zuwandte.
Mit klopfendem Herzen und dem Beutel in der Hand verließ Xantcha das Zelt wieder unauffällig und nahm sich eine der bereitstehenden Fackeln, um abseits des Getümmels ihre Beute untersuchen zu können. Sie hatte den Schrecken noch nicht vergessen und ließ deshalb vorsichtshalber ihren Hund Mischra, der auf sie gewartet hatte, an dem Leder schnüffeln. Nachdem er freudig und erwartungsvoll gebellt hatte, fast so, also wolle er sagen "Nun mach schon auf!", griff sie erneut in den Beutel und packte kurzerhand das haarige Etwas.
Doch sie zog keine grauenvolles Mini-Monster, sondern lediglich eine abgegriffene Hasenpfote heraus, die sich vorhin lediglich deswegen bewegt hatte, weil Xantcha ihre Hand bewegt hatte. Sie ließ den Glücksbringer auf den Boden fallen. Mischra schnüffelte erst daran und fing dann an, damit zu spielen, während seine Besitzerin den weiteren Inhalt des Beutels untersuchte. Sie fand einen einfachen goldenen Ring, drei Silber- und fünfzehn Kupfermünzen. Danach war der Beutel leer.
Die Diebin freute sich sehr über ihre Beute, da sie den Ring auf mindestens 6 Goldstücke schätzte. Beschwingt von dem Erfolg verstaute sie das Geld und den Ring wieder in dem Beutel und versteckte den dann unter ihrer Kleidung. Mischra hatte inzwischen das Interesse an der Hasenpfote verloren.
"Komm, gehen wir.", meinte Xantcha und ging noch einmal ins Zelt, nun aber "offiziell", ohne böse Absichten. Sie wollte den Rest des Abends noch genießen und sich an dem guten Essen laben, von dem sie sonst nicht besonders viel bekam.

Ragnar wurde zwar etwas fröhlicher, als er und Hiranhên beim Zelt ankamen und Max sahen, aber er war immer noch schwer enttäuscht, dass er so schlecht angekommen war bei den anderen.
Eine Weile saßen er und die Elfe schweigend vor dem Zelt. Dann kam ihr plötzlich die Idee, dass sie ihm ja etwas vorsingen könnte, um ihn aufzuheitern. Das einzige Lied, das ihr spontan einfiel, war "Laer Cú Beleg", das "Lied von dem Großen Bogen", einem Berg in der Nähe von Lhûgidh. Es war ein elbisches Lied, das ihr Vater ihr einmal beigebracht hatte. Es hatte eine sehr schöne Melodie, weswegen sie es ganz gern mochte.
Narumîr spitzte die Ohren, als er seine Herrin singen hörte und Max grunzte ebenfalls behaglich, während er sich neben Ragnar niederließ. Auch der war von ihrem Gesang angetan und danach schon wieder etwas mehr aufgeheitert.
Als sie geendet hatte, spürte Hiranhên, dass ihre Kehle etwas trocken war. "Soll ich uns noch ein Bier holen?" fragte sie.
"Bier???" fragte Ragnar fast entsetzt.
"Oh, tut mir leid!" Hiranhên hätte sich auf die Zunge beißen können für diese Äußerung, gerade jetzt, wo sie den Krieger wieder ein wenig aufgeheitert hatte. "Ich... habe noch Wasser in meinem Wasserschlauch. Soll ich ihn holen?" versuchte sie die Situation zu retten.
Sie hatte Glück, denn Ragnar schien es nicht persönlich zu nehmen und nickte zustimmend.
Sie saßen noch eine Weile vor dem Zelt, unterhielten sich über alles mögliche und tranken Wasser, bis sie beide müde wurden und beschlossen, zu Bett zu gehen.


Um auch am nächsten Morgen noch etwas Unterhaltung zu bieten, veranstaltete Herzog Heinrich einen kleinen Zauberwettbewerb im Zelt. Dafür musste man nicht einmal selbst ein Magier sein oder Magiebegabung haben, da durch die vielen anwesenden Zauberer genügend Magie in der Luft lag.
Um auch die Kreativität der Teilnehmer zu fördern, handelte es sich bei dem Wettbewerb um einen in der Kunst der Gedichtmagie, die deshalb besonders interessant war, weil es keine festen Zaubersprüche gab und man nie genau wusste, was der - meist improvisierte - Spruch nun genau bewirkte.
Als erstes meldete sich für diesen Wettbewerb Bohumil, der am Vortag so verlacht worden war. Einige der wenigen anwesenden Kämpfer lachten leise, als er auf einmal wieder ganz selbstbewusst die Bühne betrat.
Ihm schlossen sich bald die Waldläuferin Katan und die Diebin Xantcha an. Hiranhên hatte plötzlich auch Lust bekommen, einmal zu zeigen, was sie konnte. Sie wusste, dass sie irgendeine Begabung für Magie hatte, war aber bisher noch nie in die Situation gekommen, wo sie diese auch hätte anwenden können. Sie stand etwas unschlüssig herum und überlegte, ob sie nun gehen solle oder nicht.
"Nu geh doch! Ich dachte, Elfen können sowas", meinte Ragnar.
"Naja, schon... Nur... Ich habe das noch nie gemacht..." Hiranhên sah unsicher zu ihm auf.
"Wenn ich da mitmach, gehst du auch?" fragte er.
Hiranhên sah den Kämpfer ungläubig an. "Du???"
"Jawoll."
"Okay, wenn du da mit machst, dann geh ich auch!"
Und so kam es, dass sie sich beide noch in letzter Minute meldeten.
Die erste Aufgabe bestand darin, eine Kerze anzuzünden ohne technische Hilfsmittel. Die Teilnehmer hatten eine Minute Bedenkzeit und mussten dann ihren Spruch vortragen.
Bohumil musste kaum überlegen und grinste dann schon die anderen an, während sie noch angestrengt nachdachten. Die Kampfrichter, die auch alle so aussahen, als hätten sie am Vorabend kräftig gefeiert, bemerkten, dass er einen Spruch hatte und baten ihn sogleich, ihn vorzutragen.
Bohumil ließ sich nicht lange bitten:

"Feuer, nimm dir schnell ein Herz,
zünd' sie an, die wächsern Kerz!"

Mit diesem Spruch entflammte er nicht nur den Docht, sondern auch die Herzen der Zuschauer, die schon vergessen zu haben schienen, dass er sich beim Turnier so blamiert hatte.
Nachdem alle gesehen hatten, dass die Kerze brannte, bat man Ragnar, es zu versuchen. Er trat vor und spuckte als erstes einmal auf den Boden. Einige der Zuschauer in den ersten Reihen verzogen angewidert das Gesicht. Dann begann Ragnar:

"Die Sonne scheint mir ins Gesicht
und meine Wildsau friert es nicht.
Ich habe auch noch keine Gicht
und etz mach endlich Licht."

Hiranhên war beeindruckt, dass er so einen langen Text fertig gebracht hatte und ihr kamen ihre zwei Zeilen auf einmal ganz wenig vor. Doch die Götter schienen Ragnar sehr wörtlich zu nehmen, denn plötzlich wurde es blendend hell in dem zelt und zur gleichen Zeit wurde es Max, der beim Zelt saß, richtig warm um sein Wildschweinherz. Doch die Flamme der Kerze war nicht besonders groß und flackerte bedenklich. Als einer der Kampfrichter in ihrer Nähe etwas mit dem Arm herumfuchtelte, ging sie sofort wieder aus. Doch immerhin hatte sie kurz gebrannt.
Nun war es an Xanctha, ihr Glück zu versuchen:

"Ein Lufthauch kommt an die Kerze ran,
huch, die Kerze geht ja an."

Und tatsächlich ging die Kerze auch an. Zwar nicht spektakulär, doch sie brannte.
Grinsend trat Katan vor und versuchte ihr Glück mit einem etwas humoristischen Gedicht:

"Ich hab a G'sicht
und hell ist's nicht;
drum mach' ein Licht
sonst fürcht' ich mich!"

Auch bei ihr entzündete sich die Kerze ohne größere Aktionen oder Umwege und es war schließlich an Hiranhên, ihre Kunst zu zeigen. Man konnte deutlich sehen, dass sie etwas unsicher war, doch sie nahm sich ein Herz und sagte schließlich:

"Tu an, das Licht, tu an!
Der Docht er brennt sodann."

Mit einem kleinen Zischen fing die Kerze an zu brennen. Die Flamme sah besonders philosophisch aus, wie sie so vor sich hin brannte.
Als zweite Aufgabe mussten die Hobbyzauberer nun die Kerze wieder löschen. Wieder war es Bohumil, der als erstes fertig war und seinen Spruch präsentieren konnte:

"Hilf in der Not,
oh Meeresgischt,
lösch aus, oh Flut
das helle Licht!"

Plötzlich roch es im Zelt nach Tang und Algen. Die Leute sahen sich verwirrt um, so bekamen auch nur wenige mit, dass sich über der Flamme ein Wassertropfen materialisierte und schließlich, als er groß genug war, auf die Kerze tropfte, um die Flamme mit einem Zischen auszulöschen. Als der Hofmagier die Kerze wieder anzünden wollte für den nächsten Teilnehmer, bemerkte er, dass in dem flüssigen Wachs ein paar Salzkörner lagen. Kopfschüttelnd entzündete er die Flamme wieder.
Obwohl Hiranhên sich wieder als letzte versuchen wollte, kam sie diesmal doch als zweite dran, da Ragnar sie kurzerhand nach vorne schob, bevor er selber sah, dass er wieder in die Gruppe der Wartenden kam.
"Äh..." begann Hiranhên verwirrt. Doch dann fiel ihr wieder ein, was sie sagen wollte. Sie sah konzentriert auf das Feuer und legte los:

"Die Flamme zischt
im Windeshauch,
das Licht erlischt,
die Kerze auch.

Tatsächlich fuhr ein leichter Windhauch durch das Zelt. Als er die Bühne erreicht hatte, wurde es schlagartig stockdunkel und einige Zuschauer riefen überrascht aus. Nachdem es nach einer Sekunde wieder hell wurde, war auch die Kerze aus. Die Leute waren beeindruckt und einige klatschten Beifall. Mit einer leichten Röte im Gesicht, aber doch lächelnd ging Hiranhên wieder zurück zu Ragnar.
"Gut gemacht, kleine Elfe!" meinte er und klopfte ihr auf die Schulter. Dann wandte er sich Xantcha zu, die nun an der Reihe war. Hiranhên rieb sich unauffällig die Schulter, während die junge Diebin sprach:

"Oh, leichter Wind,
mich dünkt, geschwind
machst du der daus
die Kerze aus."

Auch bei ihr blies ein leichter Luftzug, allerdings blieb die plötzliche Dunkelheit aus und die Kerze erlosch in dem Windhauch ohne großen Aufwand.
Ragnars Gedicht war wieder ein Vierzeiler:

"Lieber kleiner Wasserschwall,
fall über meine Kerze, wall
ich muss die Sache etz machen
sonst geht mir einer hier an Rachen."

Nachdem er geendet hatte, musste sich Ragnar erst einmal räuspern, da er ein ungutes Gefühl am Hals hatte, das jedich sofort vershwand, als die Kerze erlosch. Allerdings konnte der Hofmagier sie nicht mehr anzünden, da sie komplett in Wasser getränkt zu sein schien. So musste dann für die letzte Teilnehmerin, Katan, noch eine neue besorgt werden, bevor es weiter gehen konnte. Doch dann hatte auch sie ihre Chance:

"Ich hab kein' Bock und will hinaus.
Und die Kerze geht von Geisterhand jetzt aus."

Ein heller Schemen, wie die Hand eines Geistes tauchte langsam über der Kerze auf und drückte die Ketze zwischen zwei Rauchfäden, die wahrscheinlich die Finger sein sollten, aus. Katan hingegen spürte plötzlich das unheimliche Verlangen, sofort vor die Tür zu gehen. Ein leises Raunen ging durch die erste Reihe, nachdem die Hand wieder verschwunden und die Kerze tatsächlich aus war.
"Die nächste Aufgabe, ihr Lieben, wird nicht ganz so einfach sein!" verkündete einer der Kampfrichter mit kräftiger Stimme. "Ihr habt nun die Aufgabe, schlichtes Wasser zu Wein zu machen!"
Wieder kamen einige Kommentare aus den Reihen der Zuschauer, die man jedoch nicht genau verstehen konnte. Ragnar hingegen murrte missmutig vor sich hin.
"Aber tapferer Kämpfer, wollt Ihr etwa aufgeben?" fragte der Kampfrichter.
"Auf keinen Fall! - Nur würd' ich lieber Wein zu Wasser machen. Ich mag doch keinen Alkohol!"
"Oh..." Er wandte sich seinen Kollegen zu, die ihn verständnislos ansahen, da sie nicht mitbekommen hatten, was er gerade gehört hatte. So ging er zu ihnen hinüber und erklärte ihnen die Situation. Sie waren einverstanden, dass der Kämpfer die Aufgabe umdrehen würde, denn es ging bei diesem Wettbewerb ja nicht um besonders wichtige Dinge, sondern einfach nur darum, dass die Teilnehmer und auch die Zuschauer ihren Spaß hatten. "Je nun, ich denke, dies wird auch möglich sein. - So lasset uns beginnen!"
Diesmal war es Katan, die als erstes ein Ergebnis hatte:

"Ach, mein liebes Wasserlein,
ich schenk dich jetzt ins Glas hier ein.
Nun sei schön lieb und werde Wein,
dann werde ich viel froher sein."

Während sie dies sprach, nahm sie die Karaffe mit Wasser und schenkte aus ihr in einen Becher ein. Doch was im Becher landete, sah nicht nach Wein aus, auch wenn es leicht danach roch.

"Du holdes Wasser, werde Wein,
denn nur so sollst du jetzt sein."

fügte sie noch schnell hinzu. Das holde Wasser fühlte sich scheibar geehrt, denn es wurde dunkler und schließlich zu einem lieblichen Rotwein.
Bohumil konnte es kaum erwarten, an die Reihe zu kommen, denn er schien etwas besonderes geplant zu haben. Er kündigte vorher an, dass er auch die Zuschauer mit einbeziehen wolle bei seiner Zauberei.

"Jesus sollte in die Klaps,
denn er schrie erfreut "Ich hab's!
Wasser mache ich zu Wein,
das bringt mir viele Herzen ein."
Ach, gern möchte' ich wie Jesus sein,
drum, Wasser, wandle dich in Wein,
ich wird' dir ewig dankbar sein.
Und alle stimmen froh mit ein:
"Wein soll unsre Wonne sein!"

Bei den letzten Worten gestikulierte er herum, dass die Zuschauer auch mitsprachen. Das taten sie dann auch und eine Geisterhand schenkte in das Wasserglas wie aus dem nichts Wein. Das Publikum starrte gierig auf die dunkelrote Flüssigkeit und alle wollten sie haben, doch da sie wussten, dass der Herzog der Besitzer des edlen Tropfens war, hielten sie an sich.
Xantcha trat als nächste vor. Sie nahm das Glas mit Wasser und hielt es in die Höhe, während sie so sprach:

"Sie hält in der Hand
den Becher mit Wasser,
es schwappt über'n Rand,
sie wird plötzlich blasser.
Der Becher entgleitet,
ihr Magen der grollte
und dunkler Wein
am Boden rollte."

Plötzlich entglitt das Glas tatsächlich ihrer Hand und fiel zu Boden. Im Fallen verfärbte sich das klare Wasser in eine dunklere Flüssigkeit. Das Glas schlug am Boden auf und zerbrach, während die rote Flüssigkeit überallhin floss. Da sich keiner der Kampfrichter dazu überwinden konnte, zu kosten, ob es tatsächlich Wein war, der da zwischen den Holzbrettern der Bühne versickerte, glaubten sie es einfach und bestimmten, dass Xantcha es geschafft hatte.
"Ich bin fertig!" rief da Ragnar aus. Eigentlich hätte Hiranhên vortreten wollen, doch sie wollte ihrem Freund, wenn er nun schon fertig war und sich so freute, den Vortritt lassen.

"Mein liebes kleines Wildschwein
mag zum Glück auch keinen Wein.
Sinnlos somit dieses Getränk.
Drum reich uns Wasser als Geschenk.
Im Gegenzug zum Weine, fix,
gib uns Wasser, Mirakulix.
Hab dank, oh Herr, ganz und gar.
Meine Wildsau freut sich - wunderbar!"

Ein dunkler Schatten schwebte in das Zelt herein und kreiste über dem Glas, das mit Wein gefüllt war. Schwarzer Staub rieselte von diesem Schatten in das Glas. Je mehr Staub in das Glas kam, umso mehr verlor der Inhalt seine Farbe. Schließlich war sie vollkommen klar. Einer der Schiedsrichter wurde beautragt, zu testen, ob es sich um Wasser handelte.
Als letztes trat Hiranhên vor und versuchte ihr Glück:

"Oh, klarer Trank
vom Waldesquell,
werd' zu Wein
ganz auf die Schnell'!
Auf dass du tränken magst
die dich verlangen
und auch nicht
vorm Morgen bangen,
der folgen mag
auf diese Nacht.
Et voilá,
es ist vollbracht!"

Das Wasser wurde kräftig dunkelrot und der Kampfrichter, der ihn probieren sollte, hatte, nachdem er ihn wohl verkostet hatte, das plötzliche Verlangen, ihn "Burgunder" zu nennen, obwohl er diesen Namen noch nie vorher gehört hatte und er auch sonst niemandem bekannt war: "Wunderbar, dieser ... Burgunder!" meinte er lächelnd.
Damit war der Wettbewerb beendet und die Teilnehmer und Zuschauer begaben sich in ihre Zelte.
Da bis zum nächsten Wettbewerb des Turniers, dem Nahkampf, eine Woche Zeit war, in der die Teilnehmer sich vom ersten Tag "erholen" oder die Gewinner ihre Ausbildung beginnen konnten, beschloss Hiranhên, in dieser Zeit in der nahen Umgebung umher zu reiten und ihre Kenntnisse im Überleben in der Wildnis zu verbessern.
Als sie Ragnar fragte, ob er mitkommen wolle, lehnte dieser ab. So sattelte Hiranhên ihr Pferd und ritt alleine los.

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