Das Abenteuer

~*~* Prolog *~*~

Der Mond scheint hell auf eine kaltblaue Winterlandschaft. Nichts regt sich. Die einsame Burg auf den Felsen ist mit einer Schicht wie aus Puderzucker überzogen. Aus einem Fenster scheint warmes Licht nach draußen. An den Wänden glitzern Eiszapfen, doch im Inneren der dicken Mauern merkt man nichts von der bitteren Kälte, die draußen herrscht. Und auch nichts von der mysteriösen Erscheinung, die sich mit ihrem weißen Gewand kaum von der Umgebung abhebt. Die Erscheinung bewegt sich geschmeidig, fast schwebend über den Schnee und scheint nicht zu registrieren, dass ihre nackten Füße von der Kälte eigentlich schon abgefroren sein müssten. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem Bündel in ihrem Arm, das sie fest an sich drückt, um es zu wärmen.
In einiger Entfernung von dem wehrhaften Gebäude bleibt sie stehen und betrachtet die grauen Mauern, die unter dem Wintermond fast blau schimmern. Ihr Blick gleitet über die dunklen, kleinen Fensteröffnungen und bleibt schließlich an der einzigen erleuchteten Öffnung hängen. Trotz der Entfernung sieht sie den jungen Mann in dem Zimmer, das hinter dem Fenster liegt. Ihr Herz wird schwer bei seinem Anblick, deshalb schließt sie schnell die Augen und bewegt sich weiter auf das hölzerne Tor zu, das, da der Hausherr offenbar keinen Besuch mehr erwartet, geschlossen ist. Sie wird immer langsamer, je näher sie dem Gemäuer kommt. Doch das liegt nicht daran, dass sie müde wird, sondern an dem Wissen, dass sie sich nun von dem Bündel in ihrem Arm trennen muss. Es wird ihr zwar schwer fallen, doch sie weiß, dass es besser so ist.
Mit weinendem Herzen legt sie es vor das Tor. Ein letzter Blick noch auf das friedliche Gesichtchen des schlafenden Kindes. Dann dreht sie sich abrupt um und ist bald wieder mit der Landschaft verschmolzen.
An einem steil abfallenden, schneebedeckten Felsen steht sie nun und hebt ihr Gesicht gen Himmel. Sie glaubt, im Mond ein Gesicht zu erkennen - sein Gesicht. Mit einem glücklichen Lächeln und tränenden Augen tut sie den letzten Schritt in ihrem Leben...

Das Feuer im Kamin knistert und verbreitet eine warme, wohlige Atmosphäre. Ein Augenblick des absoluten Friedens, den er um nichts in der Welt tauschen möchte. Doch trotzdem packt ihn eine seltsame Ahnung: Er hat das Gefühl, als müsste er jetzt sofort aufstehen und gehen. Er weiß aber nicht, wohin. Neugierig geworden legt er das Buch, in dem er bis gerade eben gelesen hatte, weg und steht auf. Mit geschlossenen Augen erforscht er den Ursprung dieses Gefühls. Es kommt von draußen, soviel kann er feststellen. Er hat nichts befürchten, also macht er sich auf den Weg.
Je näher er der schweren Holztür kommt, die die Kälte aus dem Inneren der Mauern fern hält, umso stärker wird das Ziehen. Als er die Tür öffnet und in den eisigen Hof tritt, kann er kaum noch langsam gehen, so stark ist dieses Gefühl, das ihn in Richtung Hoftor zieht. Als er schließlich dort steht, ist es fort. Doch er hört ein leises Weinen, das von außerhalb der Burg kommen muss. Seltsam, denn normalerweise verirrt sich niemand hierher. Des-halb hat er ja genau diesen Ort als sein Heim gewählt. Trotzdem öffnet er das Tor - und traut seinen Augen kaum: Jemand hat ihm ein schreiendes Baby vor die Tür gelegt. Wer?

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© by Opium-Angel - 2002