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~*~* Kapitel 6 *~*~
In der Schatzkammer des Herzogs

Aufgrund seines Sieges beim Turnier wurde Ragnar, ebenso wie Katan eine Woche zuvor, die Ehre zuteil, an der Tafel des Herzogs zu Abend speisen zu dürfen. Weiterhin war es ihm erlaubt, in Begleitung dort zu erscheinen. Da Hiranhên die einzige war, die er dort wirklich kannte, nahm er die Elfe mit.
Doch Heinrich lud den Krieger nicht nur der Höflichkeit wegen ein, sondern hatte auch einen Hintergedanken dabei: Er wollte Ragnar um etwas bitten, von dem er meinte, dass dieser dazu sehr gut geeignet war. Nach dem eigentlichen Essen, als die Gesellschaft noch beisammen saß und sich unterhielt, kam er darauf zu sprechen.
"Tavarien hat mir berichtet, dass Ihr im Wald einer größeren Gruppe Orks begegnet seid", wandte er sich zunächst an Hiranhên.
Die Elfe nickte. "So ist es, Herr. Wir hatten eine ... kleine Auseinandersetzung mit ihnen. Doch glücklicherweise wurde dabei niemand von uns verletzt..."
"Orks? Was suchen die denn hier? Die leben doch in {einem anderen Gebiet}", wunderte sich Ragnar.
Heinrich freute sich innerlich, dass er das Gespräch so leicht in diese Richtung gelenkt hatte. "Nun, wisst Ihr, genau das ist mein Problem..." Bei dem Wort 'Problem' wurde Hiranhên hellhörig. "Diese Orks sind nicht die einzigen Fremden, die aus dem Osten hierher kamen. Alle, die dort wohnen, fliehen plötzlich panisch nach Westen. Egal, ob Orks, Elfen, Menschen, Zwerge - einfach alle." Der Herzog legte eine kleine Pause ein, um die Worte wirken zu lassen. "Meine Vermutung ist, dass sich die Prophezeiung der Legende nun erfüllt..."
"Welche Legende?" erkundigte sich Hiranhên, deren Interesse erweckt war.
"Die Legende von Granas und Valmar." Als Hiranhên immer noch verständnislos dreinblickte, seufzte der Herzog und fasste dann den groben Inhalt der Legende zusammen: "Es heißt, dass vor 686 Granas, der 'Herr des Lichts', Valmar, den 'Herrn des Dunklen', in einem gigantischen Kampf besiegt haben soll. Valmar soll danach verschwunden sein. Doch die Legende prophezeit auch, dass er eines Tages zurück kommen wird, um die alte Rechnung mit Granas zu begleichen." Wieder legte er eine Kunstpause ein. "Ich vermute, dass die Unruhen und die Völkerflucht im Osten damit zutun haben, bin mir allerdings nicht sicher in dieser Sache." Nun wandte er sich direkt an Ragnar. "Da meine Truppen hier unabkömmlich sind, weil ich sie für die Friedenssicherung brauche, währe ich Euch sehr dankbar, wenn Ihr Euch auf den Weg nach Osten machen würdet, um herauszufinden, was dort vor sich geht." Nun war es heraus.
Ragnar sah ihn erstaunt an. "Und warum gerade ich?" fragte er erstaunt.
"Nun, Ihr habt auf dem Turnier bewiesen, dass Ihr durchaus in der Lage seid ... zu kämpfen. Im Moment seid Ihr der Einzige, von dem ich mir vorstellen könnte, dass er zu einer solchen Aufgabe in der Lage ist."
Ragnar dachte einige Augenblicke nach. "Najaaa... - Kann ich schon machen. Hab' ja eh nix vor..." Einige Männer in der Runde mussten sich ein Lachen verkneifen über die direkte Art des Kriegers.
"Ich werde Euch natürlich nicht alleine in die Fremde schicken! Im Moment sind ja noch genügend andere ... angehende Helden anwesend. Aus diesen könnt Ihr Euch eine Truppe zusammenstellen, wie Ihr es wünscht. Ich denke, Ihr werdet da die richtige Wahl treffen..." Herzog Heinrich nahm einen Schluck aus seinem Becher. "Auch meine Waffenkammer steht Euch und denen, die Ihr auswählen werdet, offen. Ihr könnt Euch dort mit allem ausstatten, was Ihr denkt für die Reise zu brauchen." Hiranhên lächelte bitter. 'Reise' klang sehr nach Vergnügen und Erholung, doch so wie der Herzog es beschrieben hatte, würde das alles andere als eine Vergnügungsreise werden. "Des weiteren", fuhr er fort, "werde ich Euch und Eurer Truppe Pferde zur Verfügung stellen, damit Ihr auch schnell vorwärts kommt."
"Aber ich kann doch gar nicht reiten", warf Ragnar ein.
"Das lernt Ihr schnell. - Die Tiere sind gut ausgebildet. - Außerdem..." Der Herzog zögerte.
"Ja?" fragte Ragnar.
"Nun, es gibt eine kleine Bedingung."
'Ich wusste, dass die Sache einen Haken hat!' fuhr es Hiranhên durch den Kopf.
"Ihr müsst jemanden auf die Reise mitnehmen..." Sein Blick fiel auf eine der wenigen Damen an der Tafel. Sie nickte leicht mit dem Kopf, als sie bemerkte, dass Heinrich sie ansah. "Chiara Frostbrand. Sie ist die Tochter meines Hofmagiers und weiß, wo Ihr hin reiten müsst. Sie wird Euch den Weg weisen." Er winkte Chiara zu sich.
"Was wünscht Ihr, Herr?"
"Chiara, dies hier ist Ragnar."
"Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen." Sie deutete einen höflichen Knicks an.
"Ja, äh, ... ganz meinerseits."
"Er hat die Aufgabe angenommen und ich habe ihm gerade erklärt, dass du ihn begleiten wirst", fuhr Heinrich fort. "Ich denke, es wäre gut, wenn ihr euch beraten würdet, wer euch sonst noch begleitet. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch auch gleich zurück ziehen."
"Danke, Herr. Ich halte das für eine sehr gute Idee. Je früher wir aufbrechen könne, umso besser." Sie wandte sich an den Krieger. "Ragnar, wollt Ihr noch hier sitzen bleiben oder ..."
"Wenn's jetzt nicht unhöflich ist, dass ich einfach gehe..."
"Aber nein, Ihr seid entschuldigt", versicherte der Herzog.
"Na dann." Ragnar stand auf. "Kommst du?" wandte er sich an Hiranhên.
"Ich..." Die Elfe sah von ihrem Freund zum Herzog.
"Ihr seid auch entschuldigt, wenn Euer Freund Euch bei sich haben will..." Der Herzog grinste und sie dachte, dass er das vollkommen falsch verstand.

Ragnar und Hiranhên waren Chiara zu einem Tisch etwas abseits gefolgt und hatten sich dort niedergelassen. Sofort war ein Bediensteter zu ihrem Tisch geeilt und hatte ihnen etwas zu trinken und ein wenig Brot gebracht.
"Nun... wisst Ihr schon, wen Ihr mitnehmen werdet?" begann Chiara als er wieder weg war.
"Naja, auf alle Fälle sie hier." Ragnar deutete auf die Elfe, die sich neben ihm niedergelassen hatte, während Chiara ihnen gegenüber saß.
"Und sonst?"
"Mmh... muss ich nachdenken..." Der Krieger grübelte einige Zeit und sah sich in dem Saal um. Es war nicht allen Turnierteilnehmern gestattet, hier zu speisen, doch vor der Burg wurde auch kräftig gefeiert.
"Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte?" mischte sich Hiranhên vorsichtig ein.
"Ja?"
"Ich hatte die letzten Tage Gelegenheit, die Waldläuferin Katan näher kennen zu lernen. - Sie hat den Wettbewerb im Bogenschießen gewonnen. - Ich denke, dass sie einiges kann und durchaus für diese Aufgabe geeignet ist."
Chiara sah Ragnar fragend an.
"Na, von mir aus."
"Gut, dann werde ich sie fragen, ob sie uns begleiten will", bot sich Hiranhên an.
Ragnar schien plötzlich denjenigen unter den Leuten gefunden zu haben, den er suchte. "Der da is auch gut!" Er deutete irgendwo mitten in die Menge.
"Ähm... wen genau? Könnt Ihr ihn beschreiben?" Chiara konnte wirklich nicht genau ausmachen, wer gemeint war.
"Der mit der schwarzen Kutte. Ich hab den beim Turnier gesehen. Der is so'n Magier. War schon toll, wie der so gekämpft hat."
"Gut, wer fragt ihn?"
"Kann ich schon machen, ich kenn den so'n bisschen. Hab den schonmal getroffen." Hiranhên sah ihren Freund überrascht an. Davon hatte er nichts gesagt. Doch andererseits war er ihr schließlich keine Rechenschaft schuldig über das was er tat und wen er kannte.
"Gut, dann ... hätte ich auch noch einen Vorschlag..." begann Chiara. "Bitte lacht mich nicht aus, er ist ... nun, Ihr denkt wahrscheinlich, er ist ... nicht so gut ..."
"Wer denn?" unterbrach Ragnar.
"Bohumil." Der Krieger runzelte die Stirn, während Hiranhên sich daran erinnerte, dass sie schon Gelegenheit gehabt hatte, den Mann kennen zu lernen. "Ich weiß, er hat am ersten Turniertag ... nicht besonders gut abgeschnitten, aber heute ist er zumindest eine Runde weit gekommen, was doch schon eine Leistung ist." Die Elfe war sich nicht sicher, ob das eine Anspielung darauf sein sollte, dass sie selber schon im ersten Kampf verloren hatte. Sie wusste zwar nicht warum, aber irgendwie war ihr Chiara unsympathisch. "Außerdem nutzte er die letzte Woche, um bei meinem Vater einiges zu lernen und so lernte ich ihn auch näher kennen. Obwohl er zwar nicht sehr geschickt im Umgang mit Waffen ist - wie man ja gemerkt hat - so ist er doch sehr intelligent und könnte ein exzellenter Zauberer werden. Ich denke, so jemanden brauchen wir auch in unserer Gruppe."
"Na, dann kommt der eben mit."
Noch am selben Abend wurden Katan, Orgim und Bohumil gefragt, ob sie mitkommen wollten auf diese Mission. Alle waren einverstanden und es wurde vereinbart, dass man sich am nächsten Tag traf, um alles genau zu bereden.

Doch als sich die Gruppe am nächsten Tag traf, um das weitere vorgehen zu besprechen, eröffnete Chiara ihnen, dass der Herzog es ihnen genehmigen würde, sich in seiner Schatzkammer etwas umzuschauen, ob sie etwas brauchbares für ihre Mission finden würden.
"So-sollten wir ni-nicht erst d-die a-and'ren V-vo-vorkehrunngen..." wollte Katan wissen, doch Chiara unterbrach sie:
"Das ist größtenteils alles schon geschehen, Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. - Nehmt aber lieber eine Waffe mit, wenn wir nach unten gehen..."
Und so wurden die sieben Gefährten, die dem Rat verwirrt Folge geleistet hatten, also von Chiara in die Gewölbe der Burg geführt. Es ging über mehrere verwinkelte Treppen nach unten und einmal kurz wieder nach oben, doch dann gleich wieder in die Tiefe. Schließlich standen sie vor einer hölzernen Flügeltür, die mit Eisen beschlagen war und neben der ein kräftiger Wächter stand. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er die Tür, als Chiara ihm ein Zeichen gab. Als die Magierin an ihm vorbei in den mit Fackeln erleuchteten Gang trat, bedeutete er den anderen, stehen zu bleiben.
"Jeder einzeln!" meinte er knapp. Verwirrt blickten sich die anderen sechs an, während Chiara um eine Ecke verschwand.
Durch die seltsame Anweisung neugierig geworden, trat Hiranhên näher und lugte in den Gang, während die anderen berieten, wer als nächster gehen sollte.
"Wollt Ihr die nächste sein?" fragte der Wächter mit einem leichten Grinsen, das Hiranhên nicht ganz deuten konnte. Es war irgendwo zwischen Schadenfreude und Höflichkeit.
Die Elfe lächelte zurück und trat durch die Tür. Neben sich bemerkte sie ordentlich aufgeschichtete Fackeln.
"Ist dort später kein Licht mehr?" vDer Wächter antwortete nicht, also nahm sie sicherheitshalber eine Fackel mit. Als sie weiter ging, hörte sie, wie sich die Tür hinter ihr schloss.
Nach einiger Zeit machte der Gang eine scharfe Biegung nach links und erweiterte sich schließlich zu einem kleinen Raum, von dem drei Türen weg führten. Neben jeder der Türen war ein Schild angebracht mit seltsamen Zeichen drauf, die Hiranhên nicht lesen konnte. Aus ihrem Gefühl heraus beschloss sie, die mittlere Tür zu nehmen. Hinter dieser Tür befand sich wieder ein schmaler Gang. Als sie einige Schritte lief, bewegte sich plötzlich der Boden unter ihren Füßen: wo sie stand, hob er sich und weiter vorne senkte er sich. Doch konnte die Elfe sehen, dass sich nicht der komplette Boden, sondern lediglich fünf Meter derartig bewegten. Und an der kleinen Stufe, die so entstand, befanden sich ungefähr zehn Zentimeter lange Stacheln aus Metall. Außerdem war der Boden unter ihren Füßen plötzlich sehr rutschig und sie drohte trotz ihrer exzellenten Balance auszugleiten. Deshalb hielt sie sich vorsichtshalber an einem Fackelhalter an der Wand fest.
Die Elfe sah sich um, konnte jedoch nichts entdecken, was ihr irgendwie helfen konnte, deshalb beschloss sie, so schnell wie möglich von der schiefen Ebene herunter zu kommen. Sie rannte los und rutschte prompt aus. Nachdem sie unsanft auf ihrem Hintern gelandet war, rutschte sie weiter auf die Stacheln zu. Schnell rappelte sie sich wieder hoch und lief nun vorsichtiger, während sie sich mit einer Hand an der Wand abstützte. Doch auch das schien nicht viel zu nützen, denn sie glitt sofort wieder aus. Sie war nur noch einen Meter von den Stacheln entfernt, als sie wieder aufstand und die Stufe war inzwischen schon einen halben Meter hoch und drei Reihen Stacheln entblößt. Mit einem großen Schritt kletterte Hiranhên hinauf und gelangte so außer Reichweite der gefährlichen Metallspitzen.
Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um und erschrak innerlich leicht, als plötzlich eine erheiterte Stimme meinte: "Sehr graziös bewegt, Elfe!" - Es war die Stimme des Herzogs. Doch das war der Elfe in dem Augenblick egal. "Depp!" murmelte sie leicht erbost. - Wie würde er denn reagieren, wenn er nichts ahnend in einem Kellergewölbe umherwandelt und plötzlich in eine Art Falle tappt. - Denn eine Falle war dies mit Sicherheit.
Nun etwas vorsichtiger geworden ging Hiranhên weiter zum Ende des Ganges, an dem sich wieder eine Tür befand.
Hinter dieser war ein Raum, der das Spiegelbild, des Raumes mit drei Türen war. Nur mit dem Unterschied, dass die Türen alle ankamen und nur eine weiter führte.
Sie sah sich um und entdeckte links von sich einen Gerümpelhaufen. Skeptisch trat sie näher und betrachtete ihn, konnte allerdings nichts entdecken. Sie zog ihr Schwert und stocherte vorsichtig in dem Plunder herum.
Nachdem sie einige Steine und alte Bretter beiseite geschoben hatte, bemerkte sie eine Kiste, die von einem Tuch bedeckt war, welches sie mit ihrem Schwert beiseite schob. Es handelte sich bei der Kiste, die darunter zum Vorschein kam, um eine einfache Holzkiste mit einem Messingschloss. Sie hob, immer noch aus sicherem Abstand und mit ihrem Schwert als Armverlängerung den Deckel der Kiste, die glücklicherweise nicht verschlossen war.
Ein kleiner Schlüssel lag dort drin. Als sie niederkniete, um den Schlüssel an sich zu nehmen, flackerten kurz die Fackeln in dem Raum, doch weiter geschah nichts. - Hiranhên hatte schon fest mit dem plötzlichen Auftauchen eines Dämons oder ähnlichem gerechnet.
Im nächsten Raum lag ein angeketteter Hund vor einer weiteren Tür. Die Elfe ging in die Hocke und der Hund hob den Kopf und sah sie an. Vorsichtig näherte sie sich dem Tier. Irgendwie schien sein Gesicht freundlich zu sein, weshalb Hiranhên es wagte und noch näher an ihn herantrat. Er schnüffelte an ihrer Hand, die sie ihm entgegen streckte.
"Na du, was bewachst du denn da?" Er bellte fröhlich und legte sich wieder hin. Die Elfe öffnete die Tür und stieg über den Hund hinweg. Er machte keine Anstalten, sie zu beißen oder sonstwie aufzuhalten.
Als sie den nächsten Gang betrat, der im Übrigen genauso aussah, wie alle Gänge, durch die sie bisher in diesem Keller geschritten war, hatte sie ein seltsames Gefühl, dass hier etwas mit Sicherheit nicht stimmte. Langsam und vorsichtig ging sie vorwärts und lauschte auf jedes verdächtige Geräusch, während ihre Augen über die Wände und über den Boden huschten.
Plötzlich, sie befand sich gerade in der Mitte des Raumes, schwang von der Decke ein den ganzen Gang ausfüllendes Brett mit spitzen Eisendornen darauf herunter. Es stoppte zwei Zentimeter vor ihrer Nase, was sie wie versteinert dastehen ließ. Ihr Herz schlug heftig und sie glaubte zu fühlen, wie Schweißperlen ihren Nacken hinunter liefen. Das Dornenbrett schwang noch leicht hin und her, berührte sie jedoch nicht. 'Wenn ich hier nur ein wenig schneller gelaufen wäre...' Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was dann passiert wäre.
Als sich ihr Puls wieder beruhigt hatte, lauschte sie in das Zwielicht hinein, konnte jedoch nichts hören außer dem Knistern der Fackeln.
Sie kniete sich nieder und sah unter dem Brett hindurch: einige Meter Steinboden und dann wieder eine Tür. 'Langsam komm ich mir auf den Arm genommen vor...' dachte sie, während sie sich unter der gefährlichen Falle hindurch rollte.
Der Raum hinter der Tür war sehr groß und ebenfalls mit an den Wänden befestigten Fackeln erhellt. Langsam fragte Hiranhên sich, warum sie überhaupt selber eine mitgenommen hatte. Bei einem Blick durch den Raum bemerkte sie zu ihrer Linken ein flaches Wasserbecken, zu ihrer rechten eine Art Schreibtisch mit einem Stuhl und in der Mitte des Raumes eine Lampe, die den Raum noch mehr erhellte.
Sie beschloß, zuerst das Becken genauer zu untersuchen. Plötzlich, als sie gerade in das klare Wasser blickte, wurde es unglaublich hell in dem Raum und hinter ihr knisterte es. Als sich die Elfe ahnungsvoll umdrehte, bemerkte sie in der Mitte des Raumes ein Feuerwesen, das direkt unter der inzwischen erloschenen Lampe stand.
Es erscholl wieder die Stimme des Herzogs: "Viel Spaß beim Spielen!"
"Idiot!" grummelte sie.
Das Feuerwesen kam zielstrebig, aber langsam auf sie zu. Die Elfe glaubte, während sie hinter das Becken trat, einen siegessicheren Ausdruck auf seinem Gesicht zu entdecken. Und auch die Flammenspur, die es hinter sich her zog, gefiel ihr ganz und gar nicht. Als es neben dem Becken stand, beugte sie sich vor und spritzte etwas Wasser in die Richtung des Wesens, doch das Wasser ging einfach durch es hindurch und fiel blubbernd zu Boden. Das Wesen stieß ein unirdisches Grummeln aus, das mehr wie das trockene Knistern von brennenden Zweigen klang, als es um das Becken herum auf die Elfe zukam. Diese stieg schnell in das Becken, in der Hoffnung, im Wasser sicher zu sein, während sie fieberhaft überlegte, wie sie lebend aus diesem Raum heraus kommen sollte. Mit einem seiner feurigen Arme holte das Wesen nach der Elfe aus, die sich schnell duckte und mit Wasser voll spritzte, in der Hoffnung, so nicht so leicht selbst anzufangen zu brennen. Das Wesen stieg ebenfalls ins Becken und überall dort, wo es hintrat, stiegen Luftblasen auf und das Wasser schien zu kochen, doch es stieg kein Dampf auf und Hiranhên verweilte auch nicht lange genug im Wasser, um fühlen zu können, ob es heiß wurde. Dass allerdings kein Dampf aufstieg, machte sie doch stutzig und die lief zu der Feuerspur, die das Wesen hinter sich her zog, um zu fühlen, ob es sich nicht bloß um eine Illusion handelte. Doch die Flammen waren eindeutig heiß.
Verzweifelt drehte sie sich einmal im Kreis und ihr Blick fiel dabei auf den Schreibtisch. Sie eilte zu ihm und zog die obere Schublade auf. Nichts. In der unteren allerdings fand sie eine dicke Decke. Ihr kam eine Idee und sie zog die Decke heraus und entfaltete sie. Das Wesen kam auf sie zu und sie warf die Decke über die züngelnden Flammen. Sie konnte nicht genau sehen, was geschah, doch die Gestalt unter der Decke wurde immer kleiner und schließlich erstarb auch die Flammenspur.
Hiranhên hatte schon fast darauf gewartet, dass wieder des Herzogs Stimme erklang: "Gut gemacht. Wenn Ihr jetzt nicht so nass geworden wäret, würde ich glatt Beifall klatschen." Hiranhên sah an sich herunter. "Ach, hier spricht im Übrigen der Herzog. Ich habe Euer Fortschreiten mit Freude und Belustigung verfolgt. Zur Belohnung öffne ich Euch nun die Tür zur wahren Schatzkammer!"
"Wurde aber auch Zeit..." Die Elfe hoffte, dass der Herzog ihr ihren Unmut nicht allzu übel nahm.
Eine Wand öffnete sich am anderen Ende des Raumes und sie betrat einen hellen Raum, der auf eine magische Art und Weise erleuchtet sein musste, denn sie konnte keine Fackeln an den Wänden sehen und doch umgab sie ein helles Licht.
In diesem Raum lagen auf vier Tischen verschiedene Gegenstände: auf dem ersten ein größeres Schwert, auf dem daneben ein Bogen, der wie ein Langbogen aussah und auf den anderen beiden je ein Kästchen. An jedem der Gegenstände hing ein Zettel.
Als Hiranhên auf den ersten Tisch mit dem Schwert drauf zu schritt, verblassten die anderen drei. Erschrocken ging sie wieder einige Schritte zurück und die Konturen der Tische wurden wieder stärker. Als sie wieder näher trat, um das Schwert von nahem zu betrachten, wurden sie wieder undeutlich, verschwanden allerdings nicht.
Das Schwert war eindeutig ein Breitschwert. Es hatte eine schwarz und rot verzierte Klinge von sehr hellem Metall und einen schwarzen Griff. Die Elfe trat an den Nebentisch, der wieder auftauchte und betrachtete den Bogen genauer: Auch er war verziert, allerdings mit gelben, blauen und grünen Linien, die ineinander liefen. Die Sehne des Bogens war dunkel und sah sehr kräftig aus.
In dem ersten Kästchen, das sie vorsichtig öffnete und dabei ängstlich beobachtete, ob sie damit ihre Chance, das Schwert oder den Bogen zu nehmen verwirkt hatte, lag ein Ring. Ein fein gearbeiteter Drache wand sich um einen leuchtenden Topas.
Im letzten Kästchen befand sich eine Flasche mit einer sehr hellen, leuchtendweißen Flüssigkeit.
Unentschlossen trat die Elfe zurück und betrachtete die nun wieder scharfen Tische von weitem. Sie grübelte, für welchen Gegenstand sie sich entscheiden sollte, denn sie konnte nur einen nehmen, das wusste sie.
Ihr kam der Gedanke, dass sie auf dem Abenteuer sicher eine gute Waffe gebrauchen konnte und schloss somit den Ring und die weiße Flüssigkeit - was auch immer es sein mochte - aus. Als hätte jemand ihre Gedanken gelesen, verschwanden diese beiden Tische.
Nach einigem gedanklichen Hin und Her entschied sich die Elfe schließlich, den Bogen zu nehmen, da sie wusste, dass sie an ihren Misserfolg beim Nahkampf denken musste und daran, dass es bestimmt sicherer für sie war, wenn sie sich etwas zurückhielt. - Und da war eine Fernkampfwaffe nunmal besser geeignet als ein Schwert.
Als sie den Bogen in die Hände nahm, fühlte sie, dass es sich um einen magischen Bogen handelte. Was sie auf dem Zettel las, bestätigte dies nur:

Dem Träger dieses Bogens ist es möglich,
jeden beliebigen Pfeil
während des Einlegens
in einen Pfeil aus
FEUER, WASSER, ERDE oder LUFT
zu verwandeln,
wenn er sich auf das entsprechende Element konzentriert.

Plötzlich öffnete sich in der Wand ein Spalt, der ungefähr die Größe einer Tür hatte. Dahinter befand sich ein kleiner Raum, in dem Chiara etwas ratlos vor einer Eisentür stand. Sie fuhr herum, als die Elfe näher trat und sich hinter dieser die Öffnung wieder schloss.
"Aha, habt Ihr es also geschafft."
Hiranhên nickte nur.
"Ihr ... habt nicht zufällig auf dem Weg eine Art Schlüssel gefunden?" wollte die Magierin wissen.
"Doch." Sie nahm den Schlüssel aus ihrer Tasche.
"Sehr gut. - Ich schlage allerdings vor, dass wir auf den Rest der Gruppe warten und dann alle gemeinsam nach oben gehen. Denn ich denke nicht, dass mehrere Schlüssel existieren."

Nach ein paar Minuten öffnete sich die Mauer ein weiteres Mal, doch das Mädchen das herein trat, gehörte ganz sicher nicht zur Gruppe. Trotzdem kam sie Hiranhên bekannt vor.
"Nanu, wer seid Ihr denn? - Und wo kommt Ihr her?"
Das Mädchen deutete hinter sich. "Von da. ... Ich bin durch die Falle gegangen."
Chiara zog die Augenbrauen hoch. "Falle?"
"Naja, durch den Tunnel." Sie schwiegen eine Weile, während das Mädchen sich umsah. "Hübsch hier." Hiranhên musste leicht lächeln. "Was macht Ihr hier?"
"Andere Frage: Wer seid Ihr?"
"Andere Frage: Warum stellt Ihr hier die Fragen?"
"Was habt Ihr hier zu suchen?" beharrte Chiara.
Plötzlich wusste Hiranhên, woher sie das Mädchen kannte: Sie hatte sie vor einigen Tagen in der Stadt Kanapla in der Nähe des Gasthauses, in dem sie genächtigt hatte, gesehen und dann noch ein paarmal auf dem Turnier.
"Die Tür hinter mir hat sich abrupt geschlossen und es gab nur noch einen Weg..."
Da erklang plötzlich wieder die Stimme des Herzogs: "Diese junge ... Dame ist hier leicht unbefugt eingedrungen, hat sich jedoch durch hervorragende Leistungen qualifiziert. Weshalb sie euch jetzt begleiten wird. - Sie darf sich jetzt vorstellen."
Das Mädchen bemerkte den befehlenden Unterton in der Stimme des Herzogs und deutete eine leichte Verbeugung an. "Ähm... man nennt mich Xantcha." Sie sah verunsichert auf die Magierin mit dem roten Mantel. "Noch irgendetwas?"
"Mein Name ist Chiara."
"Hiranhên", sagte die Elfe und neigte leicht den Kopf, als Xantcha sie fragend ansah.
Wieder trat ein betretenes Schweigen ein.
"Toll. Ja? Und? Was machen wir hier? Wann geht's weiter?"
"Warten. Wir müssen da durch." Chiara deutete auf die Eisentür.
"Wir drei?" fragte Xantcha weiter.
"Nein, da kommen noch mehr. Ich hoffe, es stoßen nicht noch mehr ungebetene Gäste zu uns..."
Obwohl Hiranhên sich auch etwas überrumpelt fühlte, fand sie doch, dass Chiara recht grob und unfreundlich reagierte. Doch wusste sie selber auch nicht, was sie sagen sollte.
Da ging die Tür wieder auf und Ragnar trat herein. Er trug eine grün schimmernde Axt in der Hand. "Ja, hallooo!" Er sah sich in der Runde um. "Wer bist du denn?" fragte er an Xantcha gewandt, doch er ließ sie gar nicht erst antworten, sondern sah Hiranhên erstaunt an. "Was ist denn mit dir passiert?"
Die Elfe sah etwas unsicher drein. "Jaaa... Hast du du das Becken dort draußen gesehen?"
"Ja."
"Ich nicht..."
Xantcha musste laut lachen, doch Hiranhên konnte ihr nicht böse sein, denn im nachhinein hielt sie ihre Aktion selber für reichlich überflüssig.
"Du kannst doch bestimmt lesen." Meinte Ragnar plötzlich und kam auf die Elfe zu.
"Ja."
"Dann les' mir des doch amal vor." Er hielt ihr einen Zettel hin, der offenbar zu der Axt gehörte. Hiranhên nahm ihn und las ihm vor, was dort stand:
"Diese Axt ist magisch.
In der Hand des Besitzers
entwickelt sie die Fähigkeit,
FEUERbälle und anderes zu schmettern.
Was aus ihr hervorschießt,
ist an ihrer Farbe ersichtlich."

"Aha. Und woher weiß ich, was dann passiert?"
"Das steht leider nicht dort. Ich denke, das musst du selber herausfinden."
"Auch gut." Ragnar betrachtete zufrieden seine neue Waffe.
Die Tür ging plötzlich auf und Orgim, der dunkle Magier trat herein. Er sah irgendwie erschöpft aus.
"Ja, was machst du denn da?" Ragnar grinste dem Neuankömmling entgegen.
"Särrrrrrvus!" Orgim setzte sich auf den Boden und lehnte sich an eine Wand. "Da ist jemand neues hier. Wer ist das?" Er hatte sein Gesicht - oder den Teil der Kapuze, wo das Geischt sein sollte - Xantcha zugewandt.
Auch Ragnar schien sich daran zu erinnern, dass er ja immer noch keine Antwort erhalten hatte, um wen es sich bei dem Mädchen handelte. "Ja, wer is'n des?"
Als Xantcha keine Antsalten machte, zu antworten, erklärte Chiara: "Die junge Dame nennt sich Xantcha."
"Woher weißt'n du das?" Ragnar sah sie erstaunt an.
"Das hat sie uns gesagt." Chiara warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Orgim schien an dem weiteren gespräch nicht weiter interessiert zu sein, denn er betrachtete interessiert einen Stab, den er in der Hand hielt. Hiranhên vermutete ganz richtig, dass es sich um einen Zauberstab handelte. Als sie den dunklen Magier etwas ausführlicher beobachtete, bemerkte sie, dass er nervös zu sein schien oder sich zumindest unwohl fühlte mit den ganzen anderen Menschen in einem Razm. Irgendwie konnte sie ihn verstehen. Ihr selber waren größere Menschansammlungen - oder kleinere auf engem Raum - auch noch etwas unangenehm.
"Und, wie hat euch das so gefallen?" fragte Ragnar mitten in die eingetretene Stille hinein.
Xantcha spielte mit ihrem Dolch herum und schien ihn nicht zu hören, während Orgim immer noch auf dem Boden saß und den Eindruck zu erwecken versuchte, dass er voll und ganz mit seinem (neuen?) Zauberstab beschäftigt war.
"Der Hund war süß", antwortete Hinranhên.
"War..." grollte Orgim, lieferte jedoch keine weitere Erklärung, als Hiranhên ihn verwirrt ansah. Sie befürchtete, der Magier habe ihn in irgendetwas verwandelt oder - noch schlimmer - getötet.
Als Katan den Raum betrat, bemerkte Hiranhên halb erleichtert, dass auch ihre Kleidung nass war.
"Die Waldläuferin hat sich auch nass gemacht", bemerkte Chiara trocken.
"Hast du die Wassergrube auch übersehen?" wollte Ragnar arglos wissen.
"Ni-nicht di-direkt, ha-hab' mich rei-reingest-stellt."
Orgim lächelte verschmitzt.
"Einer fehlt noch, dann können wir gehen", informierte Chiara den Rest der Gruppe, doch es schien niemanden zu interessieren, da Ragnar sich weiter mit Katan unterhielt.
"Was hast'n du beim Hund gemacht?"
"Ha-hab' mich vo-vorbeigesch-schlich'n."
Nach ein paar Minuten öffnete die Tür sich zum letzten Mal und Bohumil trat ein. Um seinen Hals baumelte ein auffälliges Amulett mit einem schwarzen Stein.
"Ah, der letzte!" bemerkte die rotgewandete Magierin.
Bohumil ging zu Katan und Xantcha, die nebeneinander standen.
"Geht die Tür jetzt auf?" wollte Xantcha wissen und warf einen fragenden Blick auf Chiara.
"Welche Tür?" Katan sah sich verwirrt um.
Chiara, die genau vor der schweren Eisentür am Ende des Raumes gestanden war, trat einen Schritt zur Seite. "Diese hier! - Dafür muss Hiranhên aufsperren."
Die Elfe holte den Schlüssel aus ihrer Tasche hervor und sperrte die Tür auf. Sie öffnete sich lautlos und der Schlüssel verschwand im Schloss.

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