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~*~* Kapitel 12 *~*~
Eine Woche in Karlsstadt

Etwa zur Mittagszeit des vierten Tages nachdem sie die Holzfäller verlassen hatten, sahen sie in einiger Entfernung eine wahrhaft riesige Stadt mit wehrhaften Stadtmauern.
"Karlsstadt..." murmelte Chiara und zügelte ihr Pferd ein wenig, um die mächtigen Mauern einige Zeit zu betrachten.
Auch die Elfe starrte die Stadt an. Doch machte sich bei ihr ein ungutes Gefühl breit bei diesem Anblick und beim Gedanken an die vielen Menschen, die die Straßen bevölkerten.
Inzwischen waren die Diebin und Bohumil an ihnen vorbei geritten. Xantcha drehte sich gerade herum. "Was ist? Reiten wir weiter?" fragte sie.
Schweigend trieb Hiranhên ihr Pferd wieder an und versuchte, das mulmige Gefühl zu verdrängen, das sich langsam in ihr breit machte.
"Halt! Im Namen des Königs! - Wer seid Ihr und was wollt Ihr?" rief ihnen eine der Wachen entgegen, als sie auf eins der Stadttore zu ritten, und hob die Hand - ob abwehrend oder zum Gruße war nicht ganz erkennbar.
"Wir sind im Auftrag von Herzog Heinrich unterwegs", dabei warf die Elfe einen auffordernden Blick zu Chiara, die das Schreiben des Herzogs bei sich trug, "und wir gedenken, einige Zeit in dieser Stadt zu verweilen."
Die Magierin hatte den Blick verstanden und reichte ein Pergament an den Gardisten, der das Siegel und Wappen des Herzogs genau betrachtete und es dann wieder an Chiara gab. Offenbar hatte er beschlossen, dass er mit ihr reden würde. "Natürlich dürft ihr die Stadt betreten! - Allerdings nur zu Fuß." Die Elfe zog eine Augenbraue hoch. "Die Straßen sind sowieso schon ... sehr voll", offenbar wollte er das Wort 'überfüllt' meiden.
Also saßen sie alle ab. "Ihr könnt die Pferde während eures Aufenthalts in der Stadt dort unterstellen." dabei deutete er auf einen etwas entfernt stehenden, größeren Stall, zu dem sie ihre Rösser auch sogleich führten.
Zwei Stallburschen mit etwas besserer Kleidung als es für solche üblich war, kamen ihnen entgegen und wollten nach den Zügeln von Hiranhêns und Chiaras Pferd greifen, da diese beiden die ersten waren. Narumîr allerdings legte die Ohren etwas zurück und Hiranhên hob abwehrend die Hand. Der Stallbursche sah sie etwas erstaunt an, doch dann zuckte er die Schultern und wandte sich den anderen zu.

Als die Pferde und Ragnars Wildschwein im Stall untergebracht waren, machten sie sich auf den Weg zurück zum Tor und dieses Mal wurden sie eingelassen.
Auf den Straßen herrschte reger Betrieb und sie mussten aufpassen, dass sie nicht umgerannt wurden oder selber jemanden umrannten. Man merkte, dass es sich hierbei um die Hauptstadt des Landes handelte.
"Ich denke, es wäre am besten, wenn wir uns trennen, damit jeder das erledigen kann, was er will", schlug Bohumil plötzlich vor, als sie in einer etwas ruhigeren Seitengasse standen.
"Ich halte dies für eine gute Idee", stimmte Chiara ihm zu.
Xantcha bedachte sie mit einem verächtlichen Blick. 'War ja klar...'
"Wann treffen wir uns wieder?" fragte Orgim.
"Heute abend, kurz vor Sonnenuntergang. Bei dem Tor, wo wir reingekommen sind."
"In Ordnung."
"Von mir aus."
"Bis dann!" Xantcha lief davon und verschwand zwischen den Menschen.
"Du, Orgim..." begann Ragnar; der dunkle Magier wandte sich ihm zu. "Weißt du, wo es ... so ... magisches Bumm-Zeug gibt?"
Der Krieger konnte spüren, wie ihn die Augen aus der Dunkelheit unter der Kapuze musterten. "Komm mit!" meinte Orgim dann und bedeutete Ragnar, ihm zu folgen.
"Und, was habt Ihr vor, Bohumil?" fragte Chiara.
"Nun ... ich... ich suche eine Taverne, wo es polnischen Nudelsalat gibt."
Die Magierin starrte ihn an. Dann lächelte sie. "Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich begleiten. Ich kenne mich in dieser Stadt ein wenig aus und weiß, wo es die meisten Tavernen gibt. - Dort wird sich sicher eine finden..."
"Na dann mal los!"
Nun standen nur noch Katan und Hiranhên etwas unschlüssig herum.
"W-was ha-hast d-du vor?"
Die Elfe zuckte mit den Schultern.
"N-na, i-ich g-gehe dann m-mal a-auch..."
Nun stand sie allein da. Mit einem Blick zum Himmel stellte sie fest, dass es gerade etwas nach Mittag sein musste. Ihr knurrender Magen bestätigte ihr dies, also beschloss sie, ebenfalls eine Taverne aufzusuchen, um erstens ihren Hunger zu stillen und nebenbei vielleicht noch etwas über die schwarzen Reiter herauszufinden.

Das Tavernen-Viertel (oder besser eines der Tavernen-Viertel) von Karlsstadt wirkte um diese Tageszeit im Gegensatz zum Rest der Stadt wie tot. Doch konnte Bohumil sich gut vorstellen, dass es hier während der Abend- und Nachtstunden umso turbulenter zuging.
"Das hier sieht doch gut aus", meinte Chiara plötzlich. Der Magier sah sie verwirrt an. Sie befanden sich in einer abgelegenen Gasse und die rotgewandete Magierin deutete auf ein schon etwas mitgenommenes Schild über dem Eingang zu einem Gasthaus: 'Zum Polnischen Nudelsalat' stand dort in geschwungenen Lettern geschrieben. Aus dem Inneren drang ein angenehmer Essensduft.
"Ich denke, wir sollten erste einmal etwas zu Mittag essen", meinte Bohumil und wie zur Bestätigung knurrte sein Magen.
Nachdem er sich von der vorzüglichen Qualität des servierten Nudelsalates überzeugt hatte, rief er den Wirt zu sich.
"Sagt, guter Mann, gibt es eine Möglichkeit, die Kunst, einen solch delikaten Nudelsalat herzustellen, zu erlernen?"
Der Mann sah ihn aus seinem breiten Gesicht erstaunt an. Offenbar hatte zuvor noch kein Gast diesen Wunsch geäußert. "Moment..." Er watschelte zurück zum Tresen und dann durch eine Tür, die offenbar in die Küche führte. Nach kurzer Zeit kam er mit einem noch runderen Mann mit einer ehemals weißen Schürze wieder hervor. Er winkte Bohumil zu sich heran.
Der andere Mann stellte sich als Krysztoff vor. Er war der Küchenmeister und gerne bereit, Bohumil in seine Kochkünste einzuweihen, auch wenn er etwas erstaunt war, dass ausgerechnet ein Magier ihn darum bat. Die beiden vereinbarten, dass er während der nächsten Woche lernen wolle, wie man polnischen Nudelsalat herstellt.

Xantcha suchte in den verwinkelten Gassen nach einem Lederwarengeschäft. Sie hatte vor, sich eine neue Peitsche zu kaufen, da ihr ihre alte etwas zu kurz vorkam.
Sie wurde bald fündig und entschied sich schließlich sogar, zwei Peitschen zu kaufen: für eine fünf Meter lange, normale Peitsche und eine dreischwänzige mit Metallkugeln am Ende. Dummerweise schien der Verkäufer etwas gegen sie zu haben, denn trotz ihrem Talent im handeln musste sie am Ende doch 240 Kupfermünzen für die Peitschen zahlen.
Als sie das Geld aus ihren Taschen kramte, bemerkte sie, dass sie fast nichts mehr davon besaß. Und so beschloss sie, die anderen zu überreden, noch einige Tage in Karlsstadt zu bleiben, damit sie wieder zu Geld kommen könnte.

Schon nach kurzem Suchen hatte Hiranhên eine kleine Taverne gefunden. Sie spähte vorsichtig zum Fenster hinein und stellte erstaunt fest, dass sie schon gut besucht war.
Als sie den Schankraum betrat, sah sie sich zuerst um, um zu sehen, ob es noch einen freien Tisch gab. Doch Überall saßen schon mehrere Leute. Nur an einem Tisch saß ein Mann mit einem langen grauen Bart und wirrem Haar, der in irgendwelche vor ihm ausgebreiteten Pergamente vertieft war. Die Elfe nahm ihren Mut zusammen und trat an einen der Stühle heran.
"Verzeiht..." Der Mann sah leicht erschrocken auf und musterte sie durch seine Augengläser. "Ist hier noch frei?" fragte die Elfe höflich.
"Äh... ja... ja, natürlich... Bitte..." Dabei raffte er schnell einige seiner Pergamente zusammen und machte so etwas Platz für sie. Dann vertiefte er sich wieder in seine Aufzeichnungen.
Eine Schankmaid kam an den Tisch. "Was kann ich Euch bringen?"
"Einen Becher Wasser bitte."
"Möchtet Ihr auch etwas essen?"
"Ja... Was empfehlt Ihr denn?"
"Heute gibt es Gemüsesuppe und dazu Brot. Ihr könnt natürlich auch..." Die Maid zählte einige Suppen und kleinere Gerichte auf.
"Suppe, bitte."
"In Ordnung! Ich bin sofort wieder da!"
Tatsächlich kam das Mädchen schon nach kürzester Zeit wieder zurück und stellte einen Tonbecher und eine Schüssel mit einer gut duftenden Suppe auf den Holztisch. "Guten Appetit!" flötete sie und verschwand auch schon wieder noch bevor Hiranhên etwas erwidern konnte.
Während sie aß, betrachtete sie unauffällig die Aufzeichnungen des Mannes neben ihr. Offenbar war er ein Alchemist oder Magier, denn neben vielen seltsamen Zeichen fanden sich Skizzen, Zeichnungen und Diagramme der seltsamsten Dinge. Die Elfe fand dies nicht weiter interessant und versuchte, etwas vom Gespräch am Nebentisch mitzubekommen. Außer einigen Wortfetzen, die auf den typischen Klatsch und Tratsch hindeuteten, konnte sie nichts für die interessantes heraus filtern.
Als sie fertig war, nahm sie ihren Krug und ging zum Tresen, wo eine Frau, offenbar das Eheweib des Wirtes, saß und sich halblaut mit der Schankmaid unterhielt. Als diese zu einem der Tische gerufen wurde, begann die Elfe ein vorsichtiges Gespräch mit der Wirtin.
"Verzeiht..." begann sie, wie immer.
"Mh?" Die Frau sah auf und blickte die Elfe erstaunt an. Offenbar hatte sie noch nicht viele Elfen gesehen, denn ihr Blick wanderte während des Gesprächs immer wieder zu den spitzen Ohren.
"Sagt, gab es hier in letzter Zeit ... irgendwelche... seltsamen Vorkommnisse?"
Die Frau sah sie immer noch erstaunt an. Dann schien sie sich zu fangen. "Äh... ja. Ja, ganz seltsame!"
Die Elfe horchte auf. "Ach..."
"Ja, der Schorschi - der is ja eh erweng seltsam - aber der hat was ganz komisches erlebt... Der is vor a paar Tagen `nem ganz komischen Typen begegnet..."
Das schien interessant zu werden...
"Ja, der ... der hat ihm doch glattweg angeboten, für hundert Silberstücke a Kuh vom Schorschi zu kaufen!"
'Oh nein...'
"Dabei hat der doch gar keine Viecher!"
Die Elfe überlegte, wie sie die Frau am schnellsten wieder los wurde. Offenbar war sie nicht die richtige Gesprächspartnerin.
Nachdem die Elfe einfach nur schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht zuhörte, schien die Wirtin die Lust am Erzählen zu verlieren und war dankbar, dass die Schankmaid wieder auftauchte, der sie sich auch sogleich zuwandte. "Entschuldigung... Aber... die Arbeit..:"
"Natürlich." Hiranhên nickte verständnisvoll und atmete innerlich auf. Dann trank sie den Rest von ihrem Wasser und legte eine Silbermünze auf den Tresen, bevor sie schließlich verschwand.
Sie war die erste, die wieder vor der Stadtmauer war. Sofort ging sie zu ihrem Pferd und holte es aus dem Stall. Max, der wieder einmal bei Narumîr in der Box gestanden war, folgte ihr treuherzig. In einiger Entfernung, von wo aus sie allerdings noch das Tor beobachten konnte, blieb die Elfe stehen. Sie beschloss, hier draußen auf die anderen zu warten. Die Zeit wollte sie nutzen, um sich noch einmal mit Kinjorn zu unterhalten. Narumîr ließ sie währenddessen grasen, den Sattel hatte sie nicht mitgenommen, da sie seinen Rücken entlasten wollte.
[... Gespräch mit Kinjorn ...]

Die anderen, Katan, Bohumil und Chiara, Xantcha, Orgim und Ragnar, trafen alle fast gleichzeitig in. Bohumil grinste über das ganze Gesicht, während an Xantchas Gürtel zwei neue zusammengerollte Peitschen baumelten. Die anderen hatten offenbar nichts gekauft oder trugen es zumindest nicht so offensichtlich.
"Also, wann reiten wir weiter?" fragte Hiranhên.
"V-von m-mir au-aus g-g-gleich."
"Nunja..."
"Also..." meinten Xantcha und Bohumil gleichzeitig.
"Es gibt da allerdings ein Problem..." begann Bohumil. "Ich ... habe mit einem Koch gesprochen, der mir beibringen will, wie man polnischen Nudelsalat herstellt. Und dafür müsste ich die nächste Woche hier verbringen..."
"Und ich habe auch fast kein Geld mehr..." meinte Xantcha.
"Und wie willst du an Geld kommen?" fragte Chiara kritisch.
"Nun ich... finde schon was! Es gibt doch bestimmt genug zu tun in dieser Stadt..."
"Aber wir haben einen Auftrag!"
"Nun sind wir schon so lange unterwegs und haben noch nichts wesentliches herausgefunden. Da macht doch eine Woche mehr oder weniger nun auch nichts mehr aus."
"Aber der Herzog wartet!"
"Jetz' streitet euch doch nich'!" mischte sich Ragnar ein. "Was is denn daran so schlimm, wenn wir `ne Woche hier bleiben?"
Hiranhên und Orgim hatten sich das ganze schweigend angehört und warteten auf den Ausgang dieser Diskussion.
"Aber ... mein Kochkurs..." stammelte Bohumil.
Schließlich ließ sich Chiara doch überreden, den Auftrag eine Woche ruhen zu lassen. Allerdings wollte sie dem Herzog einen Brief schreiben und ihn über die bisherigen Ergebnisse unterrichten. Als Hiranhên das hörte, fiel ihr der Brief an ihren Vater wieder ein und sie bat Chiara, den ebenfalls mit zu schicken. Die Magierin stimmte zu und nahm den Brief der Elfe entgegen. Außerdem kümmerte sie sich um eine Unterkunft für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Stadt und organisierte auch sonst alles weitere, wie eine Landkarte.

Als sie sich an einem Abend alle in der Gaststube ihrer Unterkunft trafen, breitete sie diese Karte auf dem Tisch aus und zeigte den anderen, wo sie sich befanden:
"Hier ist Kanapla, dort Metriciens und hier", dabei deutete sie auf einen Punkt westlich von Metriciens, befinden wir uns gerade."
"Was? So weit sind wir vom Weg abgekommen?"
"Ja, sieht so aus..."
"Das Portal in der Höhle ist offenbar einige Meilen von der Burg der Lichtmagier entfernt und nicht, wie wir dachten, in einer Höhle unter der Burg..."
"Wie lange brauchen wir von hier nach Metriciens?" wollte Hiranhên wissen.
"Nun, etwa vier Tagesreisen."
"Dann sollten wir uns bald wieder auf den Weg machen! - Bohumil... Wie geht es mit den Kochkünsten voran?"
"Ich bin bald fertig... Wenn ich noch zwei Tage..."
"Ja, das müsste noch gehen... Währenddessen sollten wir allerdings alles für den Aufbruch vorbereiten."
"Ich kümmere mich um genügend Essensvorräte", meinte die Magierin.
"Ich werde mich am Tag der Abreise um die Pferde kümmern." Die Elfe wandte sich an Katan. "Würdest du mir dabei behilflich sein?"
"N-nat-türlich."
"Gut. Dann treffen wir uns in zwei Tagen vor dem Tor."
"Wir sehen uns doch bestimmt sowieso abends noch..."
"Schon. Ich wollte nur, dass dies klar ist."
Die anderen stimmten zu und Chiara faltete ihre Karte wieder zusammen.

Während Bohumil sich weiter intensiv seinen Kochkünsten widmete, hatte Hiranhên beschlossen, sich ein Seil zu kaufen, da sie entdeckt hatte, dass sich ein solches nicht in ihrem Gepäck befand, es aber doch oft recht nützlich sein konnte.

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