~*~* Kapitel 11 *~*~
Das Lager der Holzfäller
Am nächsten Morgen wachte
Hiranhên auf, noch bevor Chiara und Bohumil sie weckten. Als sie ihren
Mantel, mit dem sie sich zugedeckt hatte, abstreifte und sich aufsetzen
wollte, bemerkte sie, dass es keine gute Idee gewesen war, auf dem
Steinboden zu nächtigen: Obwohl sie sich erstaunlich ausgeruht fühlte,
spürte sie jede Bewegung in den Gelenken und im Rücken. Sie unterdrückte
ein Stöhnen als sie sich weiter aufrichtete. Doch nachdem sie ihre
müden Knochen gestreckt hatte, ging es wieder einigermaßen und sie warf
sich ihren Mantel über die Schultern. Die Decke, auf der sie lag,
rollte sie wieder zusammen und ließ sie bei ihrem Sattel, auf den sie
ihren Kopf gebettet hatte, liegen.
"Guten Morgen!" begrüßte Bohumil sie, als er bemerkte, dass sie wach
war.
Die Elfe nickte ihm freundlich zu und ging dann zuerst zu ihrem Pferd,
um ihm einen guten Morgen zu wünschen und trat dann durch die schwere
eiserne Doppeltür hinaus auf den Vorplatz der Burg. Kalte Luft schlug
ihr entgegen und sie zog den Mantel enger um die Schultern. Es war immer
noch so neblig, dass man nicht erkennen konnte, wohin der Pfad führte.
Doch die Elfe war nicht hinausgetreten, um das zu erkunden. Obwohl der
Nebel die Burg wie eine dicke Wand umgab, konnte man verschwommen die
aufgehende Sonne erkennen. Es bot sich ein faszinierendes Farbenspiel
aus hellrosa, blassgelb und grau.
Hiranhên erinnerte sich an Herbstmorgen, an denen sie ähnlich wie jetzt
auf einem Turm von Lhûgidh gestanden war und ähnliche Sonnenaufgänge
beobachtet hatte. Ihr Herz wurde schwer beim Gedanken an ihren Vater.
Wie mochte es ihm gehen? War in den Ered-Lig* alles in Ordnung? Hoffentlich gab es nicht
einen erneuten Überfall dieser schwarzen Reiter! Bei diesem Gedanken
erschrak sie zutiefst. Doch gleichzeitig erinnerte er sie an ihren
Schwur, diese zu finden.
Sie drehte sich mit einem Ruck um und betrat wieder die Halle.
Inzwischen waren auch die anderen wach und Ragnar und Bohumil gingen
gerade in Richtung des Speisesaals, um zu frühstücken. Auch die anderen
schlossen sich ihnen an.
Während Hiranhên, Chiara und Katan die Pferde sattelten, gingen Ragnar,
Orgim und sein Krieger nochmals in die Speisekammer, um soviel wie
möglich mit zu nehmen. - In der Burg wurde es sowieso nicht mehr
gebraucht und es wäre Verschwendung, die Nahrung einfach schlecht werden
zu lassen.
Nachdem sie schließlich alles verstaut hatten, öffneten Ragnar und
Orgims Krieger beide Flügeltüren und graues Licht fiel in die
Eingangshalle. Dann schwang sich Ragnar auf sein Schlachtross, während
Hiranhên, die erneut so freundlich gewesen war, Casali auf ihrem Hengst
mit reiten zu lassen, schon durch das Tor ritt. Orgims Krieger musste
wohl oder übel laufen.
Obwohl der Nebel anfangs sehr dicht war, konnten sie den Weg doch gut
erkennen und folgten ihm den Berg hinab. Als sie am Fuß des Berges
ankamen, war die Sicht wieder klar und sie standen plötzlich einem Wald
gegenüber. Obgleich es keinen erkennbaren Weg gab, der hinein führte,
ritt die Elfe doch weiter. Sie fühlte sich zwischen den Bäumen um vieles
wohler als in der Burg oder gar der Höhle. Das Unterholz war nicht sehr
dicht und sie kamen gut voran.
Sie sprachen nur wenig auf dem Ritt und jeder war in seine eigenen
Gedanken versunken.
Schließlich erreichten sie gegen Mittag eine Lichtung. Sie beschlossen,
dort zu rasten. Besonders Bohumil schlug kräftig zu und aß für zwei.
Dass er dafür einige missbilligende Blicke hinnehmen musste, schien ihn
nicht zu stören. Allerdings war er nach dem Essen so voll, dass er noch
nicht gleich weiter reiten konnte und wollte. Auch Chiara und Orgim
hatten es nicht eilig und wollten sich noch etwas ausruhen. Deswegen
zogen Xantcha, Katan und Hiranhên alleine los, um die nähere Umgebung zu
erkunden.
Die Elfe hielt das für eine gute Gelegenheit, noch einmal mit dem
Lichtmagier zu sprechen, da es da eine Sache gab, die ihr nicht aus dem
Kopf gehen wollte. Deswegen nahm sie ihren Bogen zur Hand und
konzentrierte sich auf ihn.
'Kinjorn? Hört Ihr mich?'
'Ja, ich empfange Eure Gedanken...'
Sie atmete innerlich kurz durch und stellte dann die Frage, die ihr auf
dem Herzen lag: 'Wieviele ... Magier ... waren eigentlich in der
Burg?' Nun war es also heraus. Sie hoffte, dass sie nicht alle
Bewohner ermordet hatten.
'Hm, derzeit nicht viele, da die Studien des Dunkels, das sich im
Osten regt, wichtiger sind, als meine Forschungen. Aber jede
Elementar-Schule war mit mindestens zwei Magiern besetzt.'
'Heißt das... dass noch welche am Leben sein könnten?' Es keimte
Hoffnung in der Elfe auf. Zusammen mit einer gewissen Furcht, denn es
konnte immerhin sein, dass diese Überlebenden den Tod ihrer Kollegen
rächen wollten.
'Ja, die zwei Erd-Magier sind noch am Leben. Und aus der
Wasser-Schule kam einer und schlug Alarm.. Ich weiß jetzt nicht,
wieviele von uns eure Gefährten auf dem Gewissen haben...?'
'Nun, nachdem ... Ihr ... und Eure beiden Wachen ... gestorben sind ...
habe ich noch eine der Türen in dem Saal geöffnet...' Hiranhên war
immer noch wütend auf sich selber, dass sie durch ihre Neugier einen
weiteren Magier auf dem Gewissen hatte. 'Und die Lichtgestalt, die
heraus kam, wurde auch getötet... Ich weiß nicht mehr, von wem... Ich
weiß nur noch, dass ich einfach nur weg wollte...'
'Hmm, aber die andere Tür habt Ihr nicht geöffnet? Und... wart Ihr bei
den Feuermagiern? und bei den Luftmagiern?'
'Nein, die andere Tür haben wir geschlossen gelassen... Wir wollten
alle nur noch fort... Ich hoffe, Ihr nehmt es Xantcha nicht übel, dass
sie sich eine Decke mitgenommen hat... - Und dass wir uns in Eurer
Speisekammer bedient haben... Wir dachten, dass niemand mehr in der Burg
wäre... zumal wir bei den Wassermagiern auf ... jemanden getroffen
sind... und jemand aus unserer Gruppe setzte dessen Leben dort ein
Ende.... dasselbe geschah bei den Feuermagiern... und wenn die
Luftmagier diejenigen sind, die im obersten Stockwerk residieren, so
sind wir dort gewesen. Allerdings trafen wir dort niemanden an...'
'Gut, dann dürftet Ihr nur etwa ein Drittel meiner Leute angetroffen
haben...'
Hiranhên seufzte innerlich erleichtert auf. 'Werden ... sie uns
verfolgen?'
'Wenn sie das bis jetzt noch nicht getan haben wohl kaum... Aber lassen
wir dieses Thema, ich werde wohl nie zu ihnen zurückkehren können...'
'Verzeiht...'
'Ich kann Euch nichts vergeben, was Ihr nicht verhindern konntet.
Diesen Barbar hättet Ihr nicht aufhalten können.'
'Ihr meint Ragnar?'
'Wenn er sich so nennt, ja.'
[... Gespräch mit Kinjorn wird fortgesetzt ...]
Als sie nach etwa einer halben Stunde wieder zurück kamen, fanden sie
die anderen leicht verstört vor. Auf Bohumils Schulter saß ein seltsames
Wesen. Auf den ersten Blick, war es ein kleiner Wicht, doch es trug
menschliche Gesichtszüge.
"Was ist den hier los?" fragte Xantcha, als sie bemerkte, dass einige
der umstehenden Bäume Spuren von Ragnars Axt aufwiesen. Auch Katan hatte
dies bemerkt und musste sich stark zusammenreißen, um dem Krieger nicht
eine Standpauke zu halten.
"Wir sollten jetzt aufbrechen!" meinte Chiara.
"Ja, und zwar schnell."
"Aber warum denn?" Die Diebin war überrascht, dass sie es plötzlich
doch eilig hatten.
"Später", meinte Chiara bloß und ging auch shcon zu ihrem Pferd um sich
in den Sattel zu schwingen. Orgim tat es ihr gleich, allerdings wirkte
er um einiges ruhiger und gelassener - wenn auch mit einer Spur
Nervosität.
"K-könn-t-te m-mal ei-einer erk-klären, w-worum e-es ge-geht?"
Die Magierin wirkte sichtlich genervt, gab aber trotzdem Auskunft: "Die
Herren hier", dabei deutete sie auf Ragnar, Orgim und Bohumil, "hatten
vor, sich auf dieser Lichtung eine Hütte zu bauen!" Ihre Worte machten
klar, dass sie dies für bescheuert hielt. "Als sie anfangen wollten,
Bäume zu fällen, wurden sie plötzlich mit Tannenzapfen, Steinen und
kleinen Ästen beworfen..."
"Und auf einem Erkundungsflug nach oben sah ich plötzlich ... diesen
... Wicht ... hier im Geäst sitzen", unterbrach Bohumil sie und deutete
auf das Wesen, das auf seiner Schulter hockte und die Mädchen aus
kleinen Augen anstarrte. "Er nennt sich 'Beschützer des Waldes' und hat
angedroht, uns zu verzaubern, wenn wir nicht sofort aufhören. Dann ist
er auf meine Schulter gehüpft und hat gesagt, dass er jetzt unser ...
Beschützer und Führer in diesem Wald ist..."
"Uns bleibt wohl nichts anderes übrig, als dorthin zu reiten, wo er uns
hinführen will..." schloss Chiara schulterzuckend.
"Aha", war Katans Kommentar. Ihr war das Wesen sympathisch. Wenigstens
jemand, der sich für den Wald einsetzt!
"Können wir jetzt los?" fragte Ragnar ungeduldig.
Als sich die Dämmerung über das Land zu senken begann und sie gut vier
Stunden geritten waren, konnten sie sehen, dass sich der Wald in einiger
Entferung lichtete und kurz darauf erreichten sie den Waldrand. In
einiger Entfernung konnten sie ein Lager erblicken.
"Dorthin?" fragte Bohumil, der zusamen mit Hiranhên an der Spitze der
Gruppe geritten war.
"Ja", war die knappe Antwort des Wichtes, der ihm immer noch auf der
Schulter saß.
Beim Näherreiten bemerkten sie erstaunt, dass etwa zwanzig Mann damit
beschäftigt waren, Bäume zu fällen. - Und dass wo ihnen doch gerade
mitgeteilt wurde, dass sie selber dies nicht durften!
"Seid gegrüßt!" rief Bohumil, als sie sich dem Lager auf einige Meter
genähert hatten. Natürlich waren sie nicht unbemerkt geblieben, doch
erst jetzt wandten sich einige der Männer von ihrer Arbeit ab und sahen
die Reitergruppe an.
"Seid gegrüßt", brummte einer.
"Sagt, um was für ein Lager handelt es sich hier?" fragte Xantcha, die
ihr Pony ebenfalls nach vorne gelenkt hatte.
"Ein Holzfällerlager."
"Bekommt man hier etwas zu essen?" mischte sich Bohumil ein, dem sein
Magen sagte, dass die letzte Mahlzeit schon länger her war.
"Natürlich könnt ihr hier essen, geht einfach zu der großen Hütte, da
hockt der Chef drin, der regelt das."
"Habt dank!" meinte Hiranhên noch schnell, als sie bemerkte, dass
Bohumil schon nach der 'großen Hütte' Ausschau hielt und sich nicht mehr
um Höflichkeitsfloskeln kümmerte.
Sie saßen ab und führten ihre Pferde durch das Lager. Das besagte
Blockhaus war nicht schwer zu finden. Da es keine Möglichkeit gab, die
Pferde anzubinden, erklärten sich Hiranhên und Katan bereit, vor der
Hütte zu warten. Zuerst protestierten die anderen und meinten, dass
Hiranhên sie begleiten müsse, doch die Elfe machte ihnen klar, dass sie
lieber mit Katan draußen wartete.
So klopfte Bohumil an die hölzerne Tür und nach einem etwas unwirschen
"Herein!" aus dem Inneren der Hütte öffnete er die Tür und sie traten in
das etwas trübe Dämmerlicht der Hütte, die nicht sehr groß wirkte. Der
meiste Platz wurde von einem nahezu riesigen Schreibtisch eingenommen,
auf dem eine Öllampe stand. Bei einem kurzen Rundblick bemerkte
Xantcha, dass sich außerdem an einer Wand noch ein bett und eine Truhe
befanden. Ansonsten war der Raum nicht möbliert.
"Guten Abend!" begrüßte Xantcha den Mann, der hinter dem Schreibtsich
saß, fröhlich. Sie hatte spontan beschlossen, die Verhandlungen zu
führen, da sie sich selber für die geschickteste im handeln hielt.
"N'Abend", murmelte er und betrachtete die Neuankömmlinge misstrauisch.
"Ihr seht nicht aus wie Arbeiter..."
"Nein, wir kommen aus Kanapla und sind ... auf der Reise." Dass
eigentlich nur sie selber aus dieser Stadt kam, überging sie großzügig
und es widersprach ihr auch niemand. "Mein Name ist Xantcha."
"Bohumil", meinte dieser, als der Mann ihn fragend ansah. Auch die
anderen stellten sich vor und Xantcha erwähnte, dass zwei ihrer
Begleiterinnen noch vor der Tür bei den Pferden warteten, dann kam sie
gleich zur Sache: "Wir sind hier, um zu fragen, ob wir wohl etwas zu
essen bekommen könnten."
Er zog eine Augenbraue hoch. "Was zu essen? Soso..." murmelte er. Dann
schien er zu zählen, wieviele Personen ihm gegenüber standen.
"Wir würden natürlich auch etwas dafür bezahlen."
"Drei Kupferstücke pro Person."
"Das ... das wären insgesamt ja 24 Kupferstücke!" empörte sich die
Diebin.
"Nun, wir können keine Almosen verteilen."
"Aber seht doch mal: Wir sind schon seit langer Zeit auf der Reise.
Sehen wir etwa so aus, als wären wir reich?" Sie wartete gar nicht erst
auf eine Antwort. "Gewiss nicht! Wir besitzen das, was wir bei uns
tragen, mehr nicht. Auch wenn einige Gewänder", dabei deutete sie eine
Kopfbewegung in Chiaras Richtung an, "etwas prunkvoller aussehen, so ist
dies auch nur ein Überbleibsel vergangener Tage und das einzige, was
wir besitzen."
"Mmh..." brummte er.
"Wir können es uns gerade mal leisten, fünfzehn Kupferstücke
auszugeben!"
"Fünfzehn? Wollt Ihr mich etwa arm machen? Zweiundzwazig muss ich
mindestens verlangen, um auf meine Kosten zu kommen. Es ist nicht
einfach, hier zu überleben."
"Mit siebzehn ist unsere Grenze schon erreicht!"
Er zögerte. "Zwanzig. Und wenn ihr noch weiter versucht, zu handeln,
dann bekommt ihr gar nichts."
"Abgemacht!" Die Diebin streckte grinsend die Hand aus und der Mann
ergriff sie und somit war der Handel besiegelt. "Ragnar... Würdest
du..." begann sie zaghaft, als sie die Hand zurück zog.
"Aber klar doch!" Der Krieger holte seinen Geldbeutel hervor und gab
dem Mann zwanzig Kupferstücke.
"In einer halben Stunde gibt es in der Gemeinschaftshütte Abendessen.
Seid pünktlich dort, sonst bekommt Ihr nichts mehr."
"Natürlich!" mischte sich Bohumil ein.
"Äähm... da wäre noch etwas..."
Das Gesicht des Mannes verzog sich etwas. "Was?"
"Nun, wir bräuchten auch noch einen Schlafplatz. - Keine Sorge, wir
besitzen selber ein Zelt!" beeilte sich die Diebin zu sagen. "Doch
wüssten wir gerne, wo wir es errichten sollen."
"In der Nähe des Waldes gibt es einen Platz, der geeignet sein müsste.
- Ihr werdet ihn schon finden."
"Habt dank!" Xantcha deutete eine leichte Verbeugung an, bei der nicht
ersichtlich war, ob es ironisch oder ernst gemeint war. Dann verließen
sie die Hütte wieder.
"U-und?"
"In einer halben Studne müssen wir unser Zelt aufgebaut haben!" war
Bohumils knappe Antwort und er ging in Richtung seines Pferdes, das all
sein Gepäck trug.
Da das handwerkliche Geschick des Magiers sich in Grenzen hielt, stand
er nur Befehle erteilend daneben, als sich die anderen daran machten,
sein Zelt aufzubauen. Es gstaltete sich als recht schwierig, da Bohumils
Instruktionen teilweise zu komliziert für Ragnar waren, doch mit
vereinten Kräften schafften sie es tatsächlich, das Zelt zu errichten.
"Nun haben wir uns das Essen aber wirklich verdient", meinte Bohumil,
während er mit einem zufriedenen Grinsen den Plan wieder
zusammenfaltete.
"Wo is'n der Raum, wo wir hinmüssen?" wollte Ragnar wissen. Das war
eine berechtigte Frage, sie hatten ganz vergessen danach zu fragen.
"Schließen wir uns doch einfach den anderen an", schlug Chiara vor.
Das taten sie schließlich auch und gelangten so zu der größten Hütte
des Lagers. Der Raum, in dem gegessen wurde, nahm fast den gesamten
Innenraum ein. Lediglich an einem Ende befand sich eine kleine Küche.
Man wies ihnen einen eigenen Tisch zu, der anscheinend extra für sie
freigemacht worden war.
"Was gibt es denn Gutes?" fragte Bohumil, bekam allerdings keine
Antwort. Doch kurz darauf wurde ihnen ein Laib Brot mit einem Messer
darin auf den Tisch gelegt und kurz darauf folgte ein großes Holzbrett
mit großen Stücken sehr fettem Fleisch. Am Geruch war zu erkennen, dass
es sich um Rindfleisch handelte. Hiranhên war alles andere als
begeistert davon und versuchte, die magersten Stücke zu erwischen, hielt
sich ansonsten aber an das wirklich gute Brot.
Die anderen aßen mit großem Appetit.
Plötzlich, als die meisten schon fertig waren, meinte Ragnar: "Die
dürfen hier holzhacken. Warum wir nich?"
"Mmh... Gute Frage..."
"Ich werd mal fragen", meinte Xantcha und stand auf, um mit ihrem Krug
an den Nachbartisch zu gehen.
Die Männer dort waren sehr erfreut als sie zu ihnen kam und machten ihr
sofort Platz auf der Bank. 'Frauen sind hier wohl Mangelware...' ging es
Katan durch den Kopf und sie zog besorgt die Augenbrauen zusammen.
Nach einiger Zeit - Bohumil und Ragnar waren immer noch mit dem Essen
beschäftigt, kam sie wieder zurück.
"Und?" fragte Ragnar mit vollem Mund und ein Stück Brot fiel vor ihm
auf den Tisch, doch es schien ihn nicht zu stören.
"Es hat nicht viel gebracht." Die Diebin setzte sich wieder neben
Katan. "Sie sagen, sie hacken hier Holz für den König, König Karl. Als
ich sie fragte, wie sie die Erlaubnis dafür bekommen haben, fragten sie
nur, ob man das denn nicht dürfe!"
"Ich werde mich wohl selbst darum kümmern", meinte Bohumil darauf und
konzentrierte sich. Er starrte den Vorsteher - oder den, den er dafür
hielt - an und versuchte anscheinen, seine Gedanken zu lesen. Während er
noch ruhig dasaß, kroch das Feentier von seiner Schulter, schnappte
sich einen Knochen und lutschte daran herum.
"U-und w-w-was m-ma-machen d-die je-jet-tzt no-noch?" fragte Katan an
Xantcha gewandt.
"Sie sagten, die einen gehen schon ins Bett, die anderen werden noch
Würfeln oder sowas, und ein paar reden einfach. Außerdem haben sie mir
Nebelgras angeboten!"
"Und, hast du's angenommen?" wollte Ragnar wissen, doch Xantcha kam
nicht mehr zum Antworten, da plötzlich allgemeine Aufbruchsstimmung
herrschte und es zu laut wurde, um sich zu unterhalten.
Bohumil bedeutete Hiranhên und Orgim, ihm zu folgen, während Ragnar zu
einem der Arbeiter ging, da er ihn ausfragen wollte, wie der Tagesablauf
eines Holzfällers so aussieht. Katan und Xantcha setzten sich zu
einigen der Arbeiter, um sich noch ein wenig mit ihnen zu unterhalten.
Die Elfe und die beiden Magier zogen sich in ihr Zelt zurück und
Bohumil berichtete, was er aus den Gedanken des Arbeiters erfahren
hatte: Anscheinend hatten sie einen Handel mit diesen Wesen
abgeschlossen.
"Opfern sie den Viechern?" fragte Orgim. Es kam Hiranhên in den Sinn,
dass das seit dem Morgen das erste Wort war, das sie von dem dunklen
Magier vernommen hatte.
"Nein, die handeln mit Knochen."
Die Elfe zog eine Augenbraue hoch.
"Also, sie geben den ... Wesen ... ihre Essensreste wie Knochen oder so
und dafür dürfen sie Holz hacken."
"Wo wir gerade von Essen reden... Woher nehmen diese Arbeiter
eigentlich das Fleisch?"
"Ihnen wird einmal im Monat ein Rind oder ein Schwein oder ähnliches
geschickt", gab Bohumil bereitwillig zur Auskunft. "Und denkt bitte
nicht, dass man bei diesem Geschäft hier reich wird. Die meisten
schicken ihr Geld sowieso nach Hause - oder geben es an ihren beiden
freien Tagen zu Anfang des Monats aus. Da gehen sie dann in die Stadt,
... sich vergnügen..."
Bald darauf gingen sie schlafen. Da sie sich trotz - oder gerade wegen
- der Nähe des Lagers nicht sicher fühlten, teilten sie für die Nacht
abermals Wachen ein. Es geschah allerdings nichts außergewöhnliches.
Ein laut tönender Gong weckte sie am nächsten Morgen. Als sie
verschlafen vor das Zelt traten, sahen sie, dass langsam Leben in das
Lager kam. Obwohl sie alle ihre warmen Decken und eventuell auch noch
die Mäntel gehabt hatten, war es doch recht kalt gewesen über Nacht.
'Und im Anguron** wird es
noch einmal kälter werden...' dachte Hiranhên während sie, den Mantel
eng um die Schultern gewickelt, zu Narumîr ging.
Obwohl es am Vortag nicht näher besprochen worden war, aß die Gruppe
doch noch einmal bei den Holzfäller. Es gab Brot und Wurst, dazu Wasser.
- Bier und Met würde es erst am Abend geben.
Während die anderen das Zelt wieder auseinander nahmen und zusammen zu
legen versuchten, sattelten Katan und Hiranhên die Pferde und verstauten
das restliche Gepäck.
"W-wo is-st d-denn d-dieses k-kl-kleine We-wesen?"
Die Elfe sah sich suchend um. Seit dem Abendessen hatte sie das
seltsame Feenwesen nicht mehr gesehen und auch nicht mehr daran gedacht.
Doch sie konnte es nirgends entdecken. "Wahrscheinlich wieder im Wald",
vermutete sie deshalb.
Es tauchte - sehr zu Bohumils Erleichterung - bis zu ihrem Aufbruch
nicht mehr auf und so ritten sie ohne dessen Begleitung los.
Da sie nicht wussten, wo sie sich befanden, beschlossen sie, vorerst
der Straße zu folgen, die nahe des Lagers vorbei führte.
Nach einigen Stunden erreichten sie ein kleines Dorf, das sie noch nie
vorher gesehen hatten. Da sie zur Orientierung bis zur nächsten großen
Stadt reiten wollten, ritten sie um die Siedlung herum und folgten
weiter der einzigen Straße, die in dieser einsamen Gegend verlief.
Für die nächste Zeit war dies jedoch die letzte Siedlung, an der sie
vorbei kamen. Lediglich einige wenige Bauernhöfe waren über die Lande
verstreut und sie hatten jede Nacht ein Dach über dem Kopf, was sogar
Hiranhên dankbar annahm, da es inzwischen in der Nacht schon empfindlich
kalt werden konnte. Allerdings blieb die Elfe meistens im Stall oder
der Scheune, wenn ihre Gefährten es einmal bewerkstelligten, im Haus
der Bauernfamilie unter zu kommen. Da ihr dabei niemand Gesellschaft
leistete, unterhielt sie sich mit ihrem Pferd und schrieb einen Brief
an ihren Vater. - Einer der Bauern hatte ihr ein paar Blätter Papier
und eine Feder mit einem kleinen Fass, in dem noch ein Rest Tinte war,
verkauft. Er hatte gemeint, dass ein reisender Gelehrter dies vor
vielen Jahren einmal bei ihm vergessen hatte, nachdem er dort die Nacht
verbracht hatte. Da sich der Mann nicht mehr gemeldet hatte und aus der
Bauernfamilie niemand lesen oder schreiben konnte, war es ihm nicht
schwer gefallen, die Dinge der Elfe zu überlassen.
Sie hatte vor, den Brief ihrem Vater durch einen Boten zukommen zu
lassen und hoffte, einen solchen in der nächsten Stadt anzutreffen.
Nach einigem Überlegen entscheid sie sich, ihm den Brief in Elfisch zu
schreiben, um die Zahl derjenigen, die ihn lesen konnten, möglichst
gering zu halten:
'Mae govannen, adar-nîn!
Thi n'arad 21. Anavalon. Lin `elend, nan rhi rain o moroechbin. Ma
trassi cur nîn tobod. Rochon gwa eriol beth-mellyn: Ragnar-maethor,
govannen nif Kanapla. Gohon rochannen am minas o Heinrich canis
milui-maeth. En govannen erui neth Bohumil-ithron.
Vea raun gwa taurister o Heinrich govannen Katan-tauristar.
Ner adaur-milui-maeth, i tûr rathannen, e-minei an Heinrich cur
tangado. Ne thoss'în minei-nin. - Coelion mêl nin...
A gobannir men (Ragnar, Katan a nin) Orgim Doomhammer-morgollor gaer,
Chiara-ithron o Heinrich a Xantcha, sell govannen ne Kanapla.
Rocham lin lû a "wir haben" lin "erlebt", nan tawin naro cen o Lhûgidh.
Atenio!
Hiranhên
N.T. "Ich vermisse" cen...'***
Sie las sich die Worte noch einmal durch und faltete das Papier dann so
zusammen, dass es sich nicht aus Versehen öffnen würde. Dann verstaute
sie es in einer Innentasche ihrer Lederkleidung und legte sich schlafen.
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*(Sindarin)
= Drachenberge (Gebirge an dessen Grenze Lhûgidh liegt)
** vierzehnter Monat des Jahres
*** Übersetzungswünsche bitte an mich
© by Opium-Angel - 2002/2003